Auch Luxusprobleme brauchen eine Lösung

Sachsenhausen gehört zu den gefragtesten Wohngegenden der Finanzmetropole Frankfurt/Main. Am Fuße des Henninger Turms lebt die Idee der Gartenstadt wieder auf. Für das neue Quartier wurde ein Wärmenetz geschaffen, das Komfort, Trinkwasserhygiene und Energieeffizienz neu definiert.

Das intelligente System mit hohen regenerativen Anteilen heizt und kühlt mit denselben hydraulischen Anlagen, verfügt über eine vernetzte Regelung und integriert neue Technologien bis hin zur Verbrauchsabrechnung. Durch ein enges Miteinander von Projektierern, TGA-Betrieb und Anlagenbauer konnten Leistungsoptimierungen um bis zu 73 Prozent erreicht werden.

Wie so oft, wenn neue Wohnungen gebaut werden, bekommt PEWO schon in einer frühen Planungsphase eine Anfrage für den Bau von Wohnungsstationen. Die große Stückzahl und Merkmale wie 4-Leiter-Wärmenetz für Hoch- und Niedertemperatur, hydraulisches Heizen und Kühlen in ein und demselben Kreislauf sowie die geforderten Leistungsparameter lassen bereits erahnen, dass hier Großes entsteht. Im weiteren Planungsverlauf wird deutlich, dass der Einbau von Standardsystemen keine Lösung für die anspruchsvollen Aufgaben sein würde. Damit das Vorhaben gelingen konnte, war Integrale Planung auf vier Ebenen der Schlüssel zum Erfolg:

  1. Prozessbegleitung in enger Abstimmung mit den Fachplanern und Fachhandwerkern,

  2. Anlagen- und Systemoptimierung vom Heizhaus bis zur Wohnung,

  3. Programmierung einer übergeordneten Regelung für das Gesamtsystem,

  4. digitales Monitoring für die Feinabstimmung und Verbrauchsabrechnung.

Projektträger, beteiligte Fachplaner und ausführende Firmen entwickelten in Frankfurt am Main die hier beschriebenen Lösungen gemeinsam in einem iterativen Planungsprozess. Ursprüngliche Ideen wurden bis in die Bauphase ständig weiter optimiert.

Eigentlich braucht es nur eine Zahl, um zu verstehen, dass mit diesen Partnern ein neues Kapitel beim Bau von Wärmenetzen aufgeschlagen wurde: 58 °C ist die höchste Temperatur im Netz. Im bereits angeschlossenen Baufeld 1 mit 208 Wohnungen zeigt sich bereits, dass sie sogar noch weiter reduziert werden kann. Wie geht das?

Erde als Energiespeicher

Um die Herausforderung zu verstehen, braucht es eine genauere Beschreibung des Wärmenetzes. Bis zum vollständigen Ausbau werden 800 Wohnungen angeschlossen sein. Primärenergieträger des geschlossenen Wärmenetzes ist Erdwärme – in Verbindung mit Strom, Erdgas und Solarthermie. Da die Wohnungen zu einhundert Prozent mit Fußboden-Flächenheizungen ausgestattet sind und den KFW 40-Standard "Effizienzhaus" übertreffen, bietet sich eine hydraulische Trennung von Heizkreis und Trinkwarmwasser-Versorgung bereits ab dem Erzeugermodul an.

Das als 4-Leiter-Netz geführte System verfügt über ein ganzjähriges Hochtemperaturnetz (HT max. 58 °C) zur dezentralen Trinkwarmwasser-Bereitstellung und ein Niedertemperaturnetz, dessen Besonderheit darin besteht, dass es im Winter heizen (NT max. 40 °C) und im Sommer kühl temperieren kann (NT min. 17 °C).

Die Solarthermie von nahezu jedem Gebäudedach wird in den Unterheizzentralen dem HT-Netz zugeführt.

Die Fußbodenheizkreise der Wohnungen sind direkt angeschlossen. Das Trinkwarmwasser wird im Durchflussprinzip in der eigens für das Quartier neu konzipierten PEWO-Wohnungsstation bereitgestellt. Die Heizkreisverteilung ist darin platzsparend integriert.

Für die Erdwärme sind über 200 Erdsonden in ca. 100 Metern Tiefe eingebracht worden, wobei für die Wärmeübergabe des Solekreislaufs und die Regelung der Wärmepumpenkaskade ebenfalls PEWO-Systemmodule zum Einsatz kommen. Die Siemens-Regelung und offene Schnittstellen erlauben eine herstellerunabhängige, flexible Einbindung solcher Erzeugerkomponenten. Dazu gehören auch die Gas-Brennwertkessel.

Der eigentliche Clou ist jedoch die passive hydraulische Kühlung, die – nach endgültiger Fertigstellung des Quartiers – eine ganz neue Erfahrung für die Mieter bringen wird. Denn die "Erdwärme" wird im Sommer für eine kontinuierliche Temperierung der Wohnungen sorgen. Die sommerliche Wärme­kapazität wird am anderen Ende des Energiekreislaufs dafür sorgen, den natürlichen "Erdspeicher" zu regenerieren. Obwohl bei Redaktionsschluss noch zwei Bauabschnitte in Bau waren, zeigt sich im Regelbetrieb bereits, dass die konzeptionelle Trennung von Niedertemperatur- und Hochtemperatur-Heizkreis sinnvoll ist.

Optimierungspotenzial praxisbezogener Kennzahlen

Eine Reihe planerischer Herausforderungen werden in Frankfurt/Main gelöst, während auf der Baustelle der Hochbau bereits in vollem Gange ist. So wurde die ursprünglich vorgesehene zentrale Trinkwasser-Erwärmung aus der Gebäude-Unterzentrale in die Wohnung verlegt. Keine Zirkulationsverluste, weniger Hilfsenergie und verbesserter Keimschutz trotz einer um ca. 7 Kelvin auf 58 °C abgesenkten Warmwasser-Temperatur waren die ausschlaggebenden Argumente. Trinkwasserspeicher gibt es im System gar nicht.

Auch das ist Integrale Planung: Fortwährende Optimierung als Teil des Projektmanagements. Gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Zimmermann und Partner haben wir uns die Frage gestellt, ob die Annahmen zur Pumpenleistung richtig – besser gesagt, zielführend – sind. Denn formal richtig waren sie allemal.

Kann ein innovatives Wärmenetz dadurch weiter optimiert werden, dass diese und andere Parameter auf den Prüfstand gestellt werden? Es kann! Und zwar um sage und schreibe 75 Prozent, gemessen an der Auslegung nach DIN und der auf der Basis von Felddaten tatsächlich benötigten Pumpenleistung. Ausgelegt wurde mit dem Ziel maximaler Effizienz mit Hilfe von Kennzahlen aus inzwischen Millionen Datensätzen des Online-Monitorings von PEWO.

Hier waren sich Fachplaner, Gebäudeausrüster und Anlagenlieferant dieses Spannungsfeldes bewusst. In anderen Projekten begegnen PEWO allerdings tatsächlich verbaute Komponenten, die durch sklavische Auslegung nach DIN und "Sicherheitszuschläge" zu unzeitgemäßen, vor allem aber ineffizienten Systemen führen.

Die Annahmen zu Volumenströmen und daraus resultierenden Rohrquerschnitten und Pumpenleistungen halten mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt. Aus den Daten des Online-Monitorings beziehungsweise der Netzleittechnik tausender Systeme und Stationen lässt sich eine zunehmende Diskrepanz zwischen tatsächlich benötigter hydraulischer Leistung und den dazu früher einmal angestellten, theoretischen Annahmen erkennen. Dies ist für den Moment eine These, die auf eine nähere empirische Untersuchung wartet. Die "Henninger Stadtgärten" zeigen deutlich, wie weit sich Temperaturen, Pumpenleistungen und andere Parameter in Wärmenetzen allein durch MSR-Maßnahmen absenken lassen.

Luxusproblem Duschen

Viele solcher Details waren im Planungs- und Umsetzungsprozess zu beachten. Zur hygienischen Trinkwassererwärmung ist die dezentrale Versorgung mit Wohnungsstationen wie beschrieben im Projektverlauf integriert worden.

Die Ausstattung moderner Bäder bringt ein weiteres planerisches Problem mit sich. Regenduschen, Massagestrahlen und Mehrfachauslässe erfordern hohe Schüttleistungen. Ob unser Trinkwasserverbrauch zeitgemäß ist, darüber lässt sich streiten. 35 Liter pro Minute sind nötig, um dem Wunsch nach perfektem Badespaß gerecht zu werden. Die für das Quartier vollständig neu kon­struierte Wohnungsstation mit elektronischer Regelung leistet das problemlos.

Die elektronische Regelung gewährleistet neben kurzen Reaktionszeiten auch eine unmittelbare Rückmeldung an die übergeordnete Leittechnik. Die Wohnungsstation wird so vom reinen Abnehmer zum integralen Bestandteil des Gesamtnetzes. Im Übrigen zeigt sich bereits, dass der Bedarf auch mit 53 °C (HT, primär Vorlauf) gedeckt werden kann.

Weiterführende Informationen: https://www.pewo.com/

Freitag, 18.08.2017