Behaglichkeit, die auf grauem Beton sprießt

Hat sie sich bewährt, die grüne Architektur des Kö-Bogens II in Düsseldorf?

Drei Winter und Sommer als Test- und Erfahrungszeitraum für die Hecke aus 30.000 Hainbuchen vor Fenstern und Fassade des Büro- und Handelshauses geben Auskunft. Der biologische Vorhang zielt auf positive klimatische Effekte sowohl für die Büroräume innen ab als auch für das Mikroklima außen um das Geschäftshaus. Ja, die Erwartungen haben sich erfüllt. Bis auf eine Ausnahme.

Blättert man heute in Architekturzeitschriften, findet man beinahe in jedem Heft einen Artikel mit einem Beispiel grüner Gebäudehüllen. Nicht alle beschriebenen Fassadengärten dienen der Nachhaltigkeit. Bauherren entscheiden sich auch aus kosmetischen Gründen für die Pflanzenteppiche oder als Sicht- oder Schallschutz. Gegen den Lärm richten sich zum Beispiel Kassetten mit Pflanzenkulturen, die vollflächig an einer Hauswand, meist zur Straßenseite hin, gehängt werden. Mehrheitlich zielt indes die Flora auf die Verbesserung der klimatischen Verhältnisse ab. Nicht nur das, naturbasierte Lösungen sollen das städtische Leben resilienter gegen den Klimawandel und Gesundheitsbeeinträchtigungen machen. Die Anhängerschaft an dieser minimalinvasiven Form der Klimatechnik wächst ständig.

Die Integrale Planung hatte in der Neubauphase des Kö-Bogens II Absichten und Details der Ausführung in ihrer Edition 2021 vorgestellt (Artikel online verfügbar unter: https://tga.li/wo9). Das Gebäude ist Teil einer 600 Millionen Euro teuren innerstädtischen Umgestaltung namens Kö-Bogen. Die Zentrumserneuerung der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf umfasst eine viertelkreisförmige Projektfläche von 54.000 m2 mit Straßentunneln, mit oberirdischen Neubauten, wie den beiden markanten Geschäftshäusern Kö-Bogen I und Kö-Bogen II, sowie Freiraumgefüge. Der Umbau des Bereichs um den Jan-Wellem-Platz/Gustaf-Gründgens-Platz reicht bis an die Königsallee.

24.000 m2 Gartenfläche und 5.500 m2 Blumenfläche kühlen und befeuchten hier aktiv die Luft und wirken als grüne Klimaanlage. Doch nicht nur diese reinen Wiesen- und Gartenareale richten sich gegen Hitzeinseln in heißen Sommern. Die Bauherren, die Centrum Projektentwicklung GmbH und die B&L Gruppe, stimmten dem Entwurf des Büros Ingenhoven Architects zu, die Natur quasi zu erweitern und auf bebautem Betonboden eine zusätzliche Parklandschaft in Form eines Buchenumhangs für den Kö-Bogen II zu stellen. Der Mantel soll die Aufwärmung des Gebäudekörpers abfangen. Er besteht aus 30.000 Hainbuchen vor der West- und Nordfassade und auf der gesamten Dachfläche.

Schwere Baustoffe absorbieren die Sonnenenergie und strahlen sie wieder ab. Nach innen wie nach außen. Mit aufwendigen mechanischen Klimaanlagen muss die Technik künstlich die daraus folgenden hohen Temperaturen im Innenbereich abbauen und in Schach halten. Kühlbedarf und Betriebskosten lassen sich mit einer Temperatur senkenden verschattenden Gebäudehülle auf Pflanzenbasis dagegen spürbar reduzieren. Die Bäumchen entziehen der Luft Kohlendioxid und verwandeln es über die Photosynthese in wachstumsfördernde Kohlenhydrate (Zucker) und Sauerstoff. Durch die Verdunstung der Bewässerungs-Feuchtigkeit (Transpiration) kühlen die Blätter die umgebende Atmosphäre. Sie dämpfen den Lärm und binden Feinstaub, den der nächste Regen in den Boden wäscht.

Riesige adiabatische Kältemaschine

Diese Architektur erhebt im Einzelfall auch Anspruch auf Kunst. Joseph Beuys verband 1982 auf der „documenta 7“ in Kassel mit seinem Projekt „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ Kunst mit Klimaschutz, indem er ein Ensemble aus 7.000 Eichen setzen ließ und dieser Kunst die Aufgabe zuwies, Hitzeinseln zu vermeiden. Das sei eine wichtige Maßnahme in den dicht bebauten Zentren der Metropolen, wo kein Platz für flächengreifende Anpflanzungen oder neue Parks vorhanden ist. Der naturechte Vorhang des Kö-Bogens II greift diesen Ansatz auf. Er verhindert, dass bei starker Sonneneinstrahlung diese Hitze das Innenklima unerträglich belastet und sich nach außen wenig angenehm unter das Straßenklima in Schaufensternähe mischt. Die Hecke übernimmt in beiden Fällen die Funktion eines Hitzepuffers. Diesen Kühlungseffekt verstärkt die Transpiration der Blätter. Denn die Hainbuchen werden über eine Bewässerungsanlage ganzjährig bedarfsgerecht mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Damit fungieren die acht Kilometer Terrassenstufen als riesige adiabatische Kältemaschine.

Auch zur Bindung von Feinstaub

Der buschförmige Sonnenschirm berührt nicht direkt die Außenwände. Gärtner vergruben die Hecke in Kübeln, die auf begehbaren Konsolen vor den beiden Fassaden stehen. Vier Hainbuchen pro Kasten. Der Entwurf der Phytotechnik stammt von der Berliner Hochschule für Technik (BHT), ehedem Beuth Hochschule für Technik.

Der Phytotechnologe Prof. Dr. Karl-Heinz Strauch hatte zu Beginn der Planung die Anforderungen an das Begrünungssystem in einer umfangreichen Studie vorgelegt und darin den Effekt der Pflanzenhülle aus Hainbuchen für das innerstädtische Klima betont. „Nach unseren mehrjährigen Untersuchungen kennen wir das Wachstum der Pflanzen in diesem speziellen System, ihre Bedürfnisse ebenso wie ihre ökophysiologische Leistungsfähigkeit. Dabei war der Wasser- und Wärmehaushalt der Laubfläche von besonderem Interesse, ebenso wie die Frage nach der CO!SUB(2)SUB!-Aufnahme. Wir wissen nun, dass allein die Fassade eine Laubfläche von 30.000 m2 hat und Sauerstoff wie ein Park mit rund 80 ausgewachsenen Laubbäumen produziert. Darüber hinaus bindet sie Fein- und Feinststaub über die Blattoberfläche.“

Das Begrünungskonzept hatten die Firmen Jakob Leonhards Söhne und Benning Dachbegrünung als „Arge Carpinus“ umgesetzt. „Carpinus“ ist der lateinische Name für Hainbuche. Die Pflege und Wartung erfolgen ebenfalls durch Leonhards. Die Verantwortung für die Umsetzung der Planung lag damals in den Händen von Martin Belz, der nach jahrzehntelanger Tätigkeit beim Fachbetrieb Leonhards zu CityArc, Institut für Stadtnatur in Freiburg, wechselte.

Bei einer Begehung des Kö-Bogens II begründet der Begrünungsexperte die Wahl der Hainbuche so: „Sie ist ein sehr robustes, widerstandsfähiges und genügsames Gehölz, das dem emissionsbelasteten Innenstadtbereich standhält. Auch verträgt die Hainbuche unterschiedlichste Standortbedingungen und kann so an allen Fassadenseiten eingesetzt werden. Selbst an Hochsommertagen ging der Wasserverbrauch pro Tag im Mittel nicht über 2,5 l je Pflanze hinaus, obwohl wir um vier Liter gerechnet hatten. Darüber hinaus ist die Hainbuche schnittverträglich, kennt gegenüber vielen anderen Heckenpflanzen wenig Krankheiten und besitzt eine hohe Regenerationsfähigkeit.“ Und sie fällt in den Winterschlaf. Das Grün wechselt über Gelb-Rötlich in Braun und verbraucht in diesem Zustand wenig Wasser und Nahrung. „Die Blätter fallen erst kurz vor dem Neuaustrieb ab.“

Probleme mit Feuchtesensoren

Die Erfahrungen nach drei Wintern seien im Prinzip durchweg positiv. Die Natur direkt an der Fassade leistet ihren Beitrag zur Verbesserung des Raumklimas. Reklamationen seien weder von den Bauherren noch von den Nutzern eingegangen und die Technik hätte bis auf eine Stelle bisher keine Schwächen gezeigt.

„Die Begrünung ist in Sektoren unterteilt. Jede Sektion untergliedert sich in mehrere Kreise. An denen hängen nochmal die verschiedenen Ventile, sodass wir ungefähr auf 240 programmsteuerbare Magnetventile kommen. Dadurch können wir je nach Lage zur Sonne wässern. Dem Schattenbereich geben wir etwas weniger Wasser, dem Hochsommerbereich etwas mehr. Leider funktioniert die automatisierte Bewässerung über die Sensorik nicht oder nur mit Einschränkungen. Wir müssen darauf verzichten und fahren das System von Hand. Die Sensoren, die die Bodenfeuchte feststellen und danach die Bewässerung aktivieren sollen, arbeiten nicht zu unserer Zufriedenheit. Die Hersteller sind aufgefordert, an uns heranzutreten und uns Messfühler zu präsentieren, die in einem mineralischen Substrat verlässlich erfassen und melden.“

Damit haben die Fühler Schwierigkeiten: „Ein mineralisches Substrat ist relativ grobporig. Da reißt der Feuchtefilm zum Sensor oftmals ab.“ Das Wasser, das mit Säure auf einen pH-Wert 6 dosiert ist, „weil das ein Milieu ist, in dem sich die Hainbuche besonders wohlfühlt“, trägt auch den mineralischen Dünger an die Pflanzen heran. Die Feuchtefühler scheinen mit der Grobporigkeit dieses Substrates nicht zurechtzukommen. Leonhards lässt im Turnus Bodenproben von der LUFA, der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt, auf den notwendigen Gehalt an Natrium, Phosphor und Kalium für das ungestörte Wachstum der Hainbuchen untersuchen und programmiert danach von Hand die Bewässerungs- und Düngungsanlage.

Bewässern auch im Winter

Im Winter, wenn die kleinen Buchen in den Winterschlaf fallen, wird nicht gedüngt, aber bewässert, wenn die Außentemperaturen über 5 °C liegen. Sinken die Temperaturen unter 5 °C ab, schickt eine Wetterstation ein Signal an die Anlage und automatisch springt ein Kompressor an, der noch in den Leitungen vorhandenes Wasser ausbläst und sie stattdessen mit Luft füllt. Der Vorgang dauert für den gesamten Kö-Bogen II für alle Kreise ungefähr zwei bis zweieinhalb Stunden. Das Ausblasen des Wassers ist notwendig, um zu verhindern, dass die Schläuche und Rohre einfrieren. Sollte sich in der winterlichen Mittagssonne die Anlage aufwärmen, läuft die Bewässerung ebenfalls für ein paar Stunden.

Kö-Bogen-Kenner Belz klärt zu diesem Punkt auf: „Es ist nicht richtig, dass, wie man früher sagte, die Gartenbewässerung Ende Oktober/Anfang November bis Anfang April hinein ausgeschaltet werden kann. Das funktioniert weder bei der Fassadenbegrünung noch tut es generell den meisten Pflanzen gut. Die transpirieren auch im Winter. Die Flora auf vielen Terrassen und in den Gärten geht nicht ein, weil sie erfriert, sondern weil sie vertrocknet. Der Begriff heißt Frosttrocknis oder Winterdürre. Diese Schädigung ist auf eine zu geringe Wasserversorgung im Wurzelbereich zurückzuführen.“

Ausreichend Redundanz

Die robusten Hecken vertragen dagegen einen Computerausfall; ein paar Tage geht es ohne Dünger und Wasser. Das Unternehmen Mastop pflanzte trotzdem den einzelnen Sektoren ein zusätzliches Gedächtnis ein. Wenn ein Rechner ausfällt, läuft das Programm für diesen Abschnitt autark weiter. Das niederländischen Unternehmen Mastop Totaaltechniek, von dem die Bewässerungsanlage und die Anlagensteuerung stammt, hat sich auf die Automatisierung der Pflanzenpflege spezialisiert. Laut Website vereint das Unternehmen „Wassertechnik und Elektrotechnik im grünen Bereich zu einer nachhaltigen maßgeschneiderten Gesamtlösung“. Bei diesem Hersteller der Leittechnik liegen die Daten redundant vor.

Genaugenommen sichert eine doppelte Redundanz den durchgehend dauerhaften Betrieb ab. Denn technisch gesehen gliedert sich der Kö-Bogen II in zwei Gebäude. Um eben die Funktionstüchtigkeit ununterbrochen zu erhalten, realisierten die Planer und Anlagenbauer eine Zwillingsinstallation. Jeder Zwilling versorgt einen Abschnitt, kann darüber hinaus aber auch im Havariefall den Betrieb der zweiten Hälfte übernehmen. „Redundanz und Sicherheit haben für uns die höchste Priorität“, unterstreicht Martin Belz. Nur, alle technische Redundanz helfe nicht, wenn weder vom Himmel noch aus dem öffentlichen Netz Wasser kommt. „Zwar versicherten uns die Stadtwerke Düsseldorf, dass ein länger anhaltender Ausfall des Stadtwassers nicht passieren wird, aber wir haben uns trotzdem darauf vorbereitet. Mit einem Anschluss über C-Rohre können wir im Notfall Wasser von außen in die Anlage einspeisen.“

20 von 30.000

Nimmt die Dichte der Hecke nicht durch herunterfallenden Samen zu? „Nein, die Hainbuche sät sich nicht von selbst aus. Eine gewollte Vermehrung findet über Stecklinge statt. Wir mussten aber keine neuen ersatzweise setzen. Von den 30.000 Pflanzen starben bis heute maximal 20 ab. Wir sind mit dem Ergebnis komplett zufrieden. Der Bauherr ebenfalls wie auch die Bevölkerung. Der Kö-Bogen II gehört inzwischen zu den meist fotografierten Hotspots in Düsseldorf.“

Der Blätterwald übernimmt einen Teil der Klimatisierung der Büro- und Geschäftsräume. Nach Aussage der Haustechniker, so Martin Belz, laufe die mechanische Klimaanlage (Entwurf/ Installation: Caverion) deutlich weniger als geplant. „Das lässt sich allerdings nicht in Kilowattstunden oder Verbrauchsmengen quantifizieren, weil ein identisches Vergleichsgebäude nicht zur Verfügung steht“, räumt Belz ein. Tatsache ist, da sich die Kö-Bogen-Fassade tagsüber nur moderat aufwärmt und als Folge in den Nachtstunden ausreichend abkühlen kann, dass dieser ungesteuerte Prozess den Nutzern ein vor allen Dingen in den Morgenstunden spürbar angenehmes Innenraumklima beschert.

Niedertemperatur- statt Hochtemperaturradiator

Gebäude aus Stahl und Beton strahlen demgegenüber auch nachts. Leonhards hatte Messungen durchgeführt. Die Lufttemperatur um den Kö-Bogen II liegt einige Grad unter der nahe dem benachbarten Dreischeiben-Hochhaus: „Dessen Edelstahlfassade wirkt wie ein Hochtemperaturradiator. An einem Hochsommertag haben wir Abstrahlungen in einem Meter Entfernung von 78 bis 80 °C gemessen. Die hoben die umfließende Außenluft von mittags 40 °C auf Temperaturen merklich über die 40 °C an. Die Hecke dagegen agiert als Niedertemperaturradiator. In einem Meter Abstand vor den Bäumchen lag die Abstrahlung nur noch bei 36 °C, bei eben der Außentemperatur von 40 °C. Hinter den Hecken betrug der Wert noch weniger.“

Ein Punkt bedurfte bei dem Rundgang noch einer Erklärung: Warum wertvolles Trinkwasser für die Bewässerung, statt Regenwasser oder Grundwasser? Anlagenbauer Belz stellt richtig: „Zunächst, der Kö-Bogen II gibt kein Wasser an die Kanalisation ab und trägt damit zur Entlastung der Abwasserkanäle bei Starkregenereignissen bei. Grundsätzlich werden die Hecken aber mit Regenwasser bewässert. Über den Gefäßböden befindet sich eine Anstauschicht für einen Wasservorrat, sodass überschüssiges Regenwasser nur bei Starkregen abgeführt wird. Lediglich für jene Phasen während der Vegetationsperiode der Pflanzen, in denen das Regenwasser nicht ausreicht, ist die bedarfsorientierte Zusatzbewässerung mit Trinkwasser installiert.“

Schlechte Grundwasserqualität

Die Trinkwasserversorgung sei zudem aus der Not geboren. Generell stünden „die Verwendung von Grauwasser, der Betrieb von Zisternen und alternativen Wasserversorgungen in unseren Planungen im Mittelpunkt.“ Leider sei die angedachte Lösung „Grundwasser“ ausgefallen, „da die zur Erkundung durchgeführten Grundwasserbohrungen eine wechselhafte Qualität zu Tage förderten. Die Hainbuche wäre damit nicht zurechtgekommen.“ Mengenmäßig hätte der Grundwasserstrom ausgereicht, aber mit einem so hohen Aufwand aufbereitet werden müssen, dass sich die Nutzung aus wirtschaftlichen Gründen nicht anbot. „Die chemischen Werte schwankten bei diversen Entnahmen sehr stark wie auch der pH-Wert. Eine dritte Möglichkeit wäre die Bewässerung mit aufbereitetem Grauwasser. Im Kö-Bogen II fehlt allerdings ein entsprechendes zweites Rohrsystem. So blieb uns nichts anderes übrig, als an das Trinkwassernetz zu gehen.“

Donnerstag, 22.08.2024