BIM und Ökobilanzierung

Mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG, ehemals EnEV) legt der Gesetzgeber Maximal-Grenzen für den jährlich zu erwartenden Energiebedarf ...

... zum Heizen und/oder Kühlen eines zu planenden Neu- oder Bestandsbau-Projektes fest.

Wesentliche Rechengröße zum Nachweisen der GEG-Anforderungen ist der „Primärenergieaufwand nicht erneuerbar“ (PE,ne), den der bestimmungsgemäße Betrieb des Gebäudes erfordert. Aus ökologischer Sicht ist dies jedoch unzureichend, denn auch die verbauten Materialien verursachen Primärenergieaufwand für Rohstoffgewinnung, Produkterstellung, Transport und Entsorgung im Lebenszyklus des Gebäudes. Relevante Rechengröße ist hier das „Treibhauspotential“ (GWP100, Global Warming Potential). Modellrechnungen zeigen, dass Betrieb und Konstruktion mehr oder weniger gleich große Werte liefern, und unterstreichen damit den hohen Stellenwert von Ökobilanzen. Erste Förderprogramme schreiben bereits entsprechende Nachweise vor. Fachplaner werden sich auf zusätzliche Arbeit zum Berechnen von Ökobilanzen einstellen müssen. Welche Möglichkeiten können BIM-Arbeitsprozesse bieten, um benötigte Daten aus 3D-Architekturmodellen automatisiert abzuleiten?

Im Regelfall lässt sich aus einem 3D-Architekturmodell eine IFC-Datei exportieren (aktuell Vers. 4.3). Der IFC-Standard ist ein allgemeiner internationaler Standard im Bauwesen zum digitalen Beschreiben gezeichneter Gebäude. Als „offener“ Standard lässt er dem Architekten freie Hand zum Gestalten und enthält keinerlei Restriktionen von DIN-, VDI-Regeln oder gesetzlichen Bestimmungen. Eine regelbasierte bauphysikalische Berechnungs-Software (u.a. Ökobilanzierung) hat damit nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Nutzen aus IFC-Dateien zu ziehen. Oft haben Fachplaner viel Nacharbeit zum Ergänzen und Anpassen importierter IFC-Daten, sofern dies überhaupt sinnvoll ist. Aufklärung und Absprachen zwischen Architekt und Fachplaner können hilfreich sein.

Green Building und gbXML

Ganz unabhängig vom IFC-Standard ist in den USA vor über 20 Jahren der „Green Building“-Standard entwickelt worden. Zweck des ständig weiterentwickelten Standards ist es, selektiert und gezielt relevante Daten für Energieanalysen aus CAD-Systemen generieren zu können, als gbXML-Datei zu exportieren und für die Berechnung nutzbar zu machen. Der „eng“ auf Energie-Anwendungen zugeschnittene „Green Building“-Standard unterscheidet sich damit gravierend vom „offenen“ IFC-Standard für Anwendungen aller Art und bietet bauphysikalischer Software bessere Chancen zum Importieren benötigter Daten.

Ableiten eines Energie-/Ökologie-Rechenmodells aus IFC

Eine passende Softwarelösung hat Solar-Computer mit dem Tool „GBIS“ (Green Building Information System) für „Revit“ entwickelt. Das Tool ermöglicht es, die IFC-Datei beim Import in „Revit“ so zu beeinflussen, dass berechenbare Modelle entstehen. Typische Probleme wie undefinierte Elemente (sog. Proxy-Elemente) oder fehlende Informationen (z. B. fehlende Nachbarraumbeziehungen) lassen sich mit dem Tool beheben. Das entstehende „Energie-/Ökologie-Modell“ besteht aus Räumen, umschließenden Flächen, Nachbarraumbeziehungen, Bauteilzuordnungen und weiteren relevanten Objekten. Dieses abgeleitete Modell (als gbXML inkl. Zusatzinformationen) ermöglicht wiederum damit bauphysikalische Berechnungen, wie zum Beispiel eine Ökobilanz nach QNG, eine Energieeffizienzberechnung nach GEG 2024 / DIN V 18599, eine Berechnung des sommerlichen Wärmeschutzes und vieles mehr.

„ÖKOBAUDAT“ des BMWSB als Material-Datenbasis

Mit der Plattform „ÖKOBAUDAT“ stellt das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) eine vereinheitlichte Datenbasis für die Ökobilanzierung von Bauwerken zur Verfügung. Im Zentrum der Plattform steht eine Online-Datenbank mit Ökobilanz-Datensätzen von Baumaterialien, Bau-, Transport-, Energie- und Entsorgungsprozessen. Insbesondere ist das Treibhauspotential GWP100 Teil der für Ökobilanzen benötigten Daten. Aktuell enthält die „ÖKOBAUDAT“ etwa 1.400 Datensätze für Bauprodukte und ist verbindliche Datenbasis für das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) für Öffentliche Bauvorhaben. Hierbei werden neben ökologischen auch ökonomische, soziokulturelle und funktionale Qualitäten betrachtet und gegebenenfalls mit einem DGNB-Siegel honoriert. Die „ÖKOBAUDAT“ ist ebenfalls verbindlich für Nachweise zum Erhalt eines „Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude“ (QNG) des BBSR. Datenbasis ist hier eine aus der „ÖKOBAUDAT“ abgeleitete reduzierte „QNG-Wertetabelle“.

Durchgängiges Arbeiten in der Berechnung

Die Berechnung einer Ökobilanz lässt sich umso rationeller ausführen, je mehr sie sich mit Berechnungen für gegebene andere Aufgabenstellungen kombinieren lässt.

Bei Solar-Computer werden diese durch die Programme „U-Wert-Berechnung“ und „Gebäude-Energieeffizienz GEG 2024/DIN V 18599“ abgedeckt. Ersteres verwaltet die Materialien der DIN EN ISO- oder anderer Baustoffe der im Projekt vorkommenden Bauteile mit ihren Schichtaufbauten; hier gilt es, die berechnungsrelevanten Baustoffe mit denen der „ÖKOBAUDAT“ (bzw. QNG-Wertetabelle) zu verknüpfen. Letzteres verwaltet unter anderem die raum-bezogenen Umschließungsflächen aus dem Energie-/Ökologie-Modell; hier gilt es, im Verbund mit der U-Wert-Berechnung die Massen der einzelnen Materialien abzuleiten, TGA-Anlagen-Komponenten und den berechneten Primärenergieaufwand zu übernehmen. Zusammen mit der „QNG-Ökobilanz“ ergibt sich daraus ein durchgängig nutzbares Softwarepaket innerhalb der Berechnung.

Massenermittlung aus dem Energie-/Ökologie-Modell

Wie zuvor beschrieben und nach QNG-Handbuch zulässig, können die Massen für die Ökobilanz aus den Schichtdicken der U-Wert-Berechnung und den im Programm „Energieeffizienz“ verwalteten Raum-Hüllflächen berechnet werden. Ebenso automatisiert kann ein erstes Zuordnen der verbauten Baustoffe auf die „ÖKOBAUDAT“ (bzw. QNG-Wertetabelle) erfolgen. Grundlage hierfür ist eine in der Software hinterlegte Standard-Zuordnungs-Tabelle. Manuell zu ergänzen sind gegebenenfalls spezielle Bauobjekte (Treppen, Rampen, Balkone etc.), die im Rechenmodell noch nicht abgebildet sind. Dagegen lassen sich Bauteillisten der TGA-Anlagen aus der Energieeffizienz-Berechnung ableiten.

Massenermittlung aus dem Architektur-Modell

Alternativ können Massen mit dem Solar-Computer-Modul „GBIS.ECO“ direkt aus Architekturmodellen übernommen werden. Dem Fachplaner eröffnet diese Vorgehensweise viele Vorteile, wenn die Bauteile im Architekturmodell aus detailliert strukturierten „Revit“-Familien gezeichnet sind. „Revit“-Familien können den Schichtaufbau darstellen oder anteilige Materialien verbauter Objekte, beispielsweise Fenster mit Glasanteil, Blend- und Flügel-rahmen, Griff, Jalousie und Fensterbank; ferner alle Objekte, die es im Energie-/Ökologie-Modell nicht gibt, zum Beispiel Treppen, Stützen, Unterzüge und Bauteile außerhalb des beheizten Volumens, etwa Balkone. Das Zuordnen der „Revit“-Eigenschaften auf die „ÖKOBAUDAT“ (bzw. QNG-Wertetabelle) erfolgt analog mit Solar-Computer-Dialogen, jedoch integriert in der „Revit“-Oberfläche.

Ökobilanzierung

Gemäß QNG-Handbuch werden der „Primärenergieaufwand nicht erneuerbar“ (PE,ne) und das Treibhauspotential des Gebäudes für die Lebenszyklusphasen „Herstellung“ (Module A1-A3), „Betrieb und Nutzung“ (B4 und B6) sowie „Rückbau, Abfallbehandlung und Entsorgung“ (C3 und C4) bilanziert und bewertet. Informativ werden auch die Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenzen (D1 und D2) nachgewiesen. Das Bewerten der TGA-Objekte erfolgt aktuell noch durch den sogenannten pauschalen Sockelbetrag in Höhe von 20 Prozent. Großkomponenten werden gesondert bilanziert, zum Beispiel Wärme- und Kälteerzeuger, Lüfter, Klimageräte, Photovoltaiksysteme usw. Weiterhin geht der Aufwand für Betrieb und Nutzung des Gebäudes in die Bilanz ein; ferner Endenergien für den Anlagenbetrieb, NWG-Beleuchtung gemäß GEG-Berechnung sowie der Energieaufwand für Nutzung, zentrale Dienste und Aufzüge. Auch der Aufwand für Abfallbehandlung und Entsorgung zum Ende des Lebenszyklus wird für jedes Material bilanziert. Notwendige Materialerneuerungen und deren Entsorgung während des Lebenszyklus werden berücksichtigt.

Qualitätssicherung und Gütesiegel

So einfach und übersichtlich sich die Ökobilanz eines Bauwerks im Ergebnis darstellen lässt, so komplex sind doch die zugrundeliegenden Regelwerke im Zusammenspiel mit dem Energieausweis. Dieser erlaubt keine Berechnungen nach DIN 4108-6/ DIN 4701-10 mehr, da das GEG seit 1.1.2024 für Wohn- und Nichtwohngebäude ausschließlich auf das über 1.000-seitige Regelwerk der DIN V 18599 verweist. Umso wichtiger ist es für den Planer, sich auf seine Software verlassen zu können. Hier bietet das Gütesiegel „Validierte DIN V 18599 Software“ dem Planer eine Orientierungshilfe. Eine Vergabe erfolgt durch den Gütegemeinschaft Gebäudebilanzierung e.V. Ein Projekt gelangt in den Bereich der Förderung, wenn die berechnete Ökobilanz bestimmte spezifische Grenzwerte abhängig von der Art des Gebäudes unterschreitet. Erste Grenzwerte hat das BMWSB bzw. BBSR mit den Siegelvarianten „Plus“ und „Premium“ für Wohngebäude schon festgelegt und entsprechende QNG-Gütesiegel entworfen.

Fazit und Perspektive

Das Erstellen von Ökobilanzen lässt sich bestens in einen rationell ablaufenden BIM-Arbeitsprozess integrieren, wenn aus CAD ein raumbasiertes Energie-/Ökologie-Rechenmodell generiert werden kann, auf dem durchgängig nutzbare Berechnungsprogramme für Bauphysik, Energieausweis und Ökobilanz aufgesetzt werden können. Detailliert strukturierte „Revit“-Familien für Bauteile aller Art schaffen darüber hinaus die Basis für exakte und vollständigere automatisierbare Massenermittlungen. Ökobilanzen werden angesichts der Klima-Problematik für künftige Planungen im Neu- und Bestandsbau immer wichtiger und realitätsnäher werden, was an der Weiterentwicklung der „ÖKOBAUDAT“ und ihrer Öffnung für firmen- und verbands-spezifische Datensätze (EPD) zu erkennen ist.

Donnerstag, 01.08.2024