Wohnhäuser schnell, wiederholbar und bezahlbar auf zukunftssicheren Nullenergiestandard sanieren? Wunschdenken für die Zukunft? Längst nicht mehr!
Wohnhäuser schnell, wiederholbar und bezahlbar auf zukunftssicheren Nullenergiestandard sanieren? Wunschdenken für die Zukunft? Längst nicht mehr!
Aus den Niederlanden kommt das dort bereits tausendfach erfolgreich umgesetzte Sanierungskonzept Energiesprong, das diese Kriterien erfüllt. Jetzt werden in Deutschland erste Gebäude nach dem innovativen Prinzip saniert.
Energiesprong steht für Sanierungen mit industriell vorgefertigten Fassaden und Dächern und vollständig integrierten Energiesystemen. Das sanierte Haus erreicht den Nullenergiestandard (Net-Zero-Standard). Das Gebäude erzeugt also über das Jahr so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom, wie benötigt wird. Ein innovatives Finanzierungssystem macht Energiesprong-Sanierungen attraktiv für Mieter und Eigentümer gleichermaßen. Für 2019/2020 sind bundesweit mehrere Projekte mit insgesamt rund 300 Wohneinheiten geplant, die ganz praktisch zeigen, wie es funktioniert.
Bezahlbaren und klimafreundlichen Wohnraum zu schaffen, ist eine zentrale Aufgabe für Politik und Unternehmen. Bis 2050 soll der Gebäudebestand in Deutschland nahezu klimaneutral sein. Es zeichnet sich ab, dass dieses Ziel mit bisherigen Sanierungsprozessen allein nicht zu erreichen ist. Energiesprong kann hier ein Teil der Lösung sein.
Der Energiesprong-Ansatz zielt darauf ab, Wohngebäude in kurzer Zeit auf einen Nullenergiestandard zu bringen und dabei sowohl die Interessen der Eigentümer als auch der Mieter zu wahren. So bietet das Energiesprong-Modell Wohnungsunternehmen ein hochwertiges, optisch ansprechendes, schnelles, kostengünstiges und wiederholbares Sanierungskonzept mit gleichbleibend hohem Qualitätsstandard. Die Bewohner erleben nach der Sanierung mehr Wohnkomfort und bezahlen dennoch nicht oder nur geringfügig mehr Warmmiete als zuvor.
Möglich wird das, weil der Energiesprong-Prozess zum einen neue Technologien und Prozesse aus der Industrie 4.0 nutzt, die auch dem Engpass an Fachkräften entgegenwirken.
Zu Beginn wird das Gebäude mit Hilfe eines 3D-Laserscanners vermessen. Anhand dieser Daten wird die Planung in 3D erstellt und direkt in die Fertigungsplanung übertragen. Auf deren Basis werden im Werk die Fassaden- und Solardachelemente millimetergenau und unter gleichbleibenden Bedingungen vorgefertigt – inklusive Fenstern, Türen, Dämmung und Außenputz. Durch die industrielle Fertigung lassen sich hohe Qualitätsstandards setzen und deren Einhaltung genau überprüfen. Wie auch bei anderen in Serienproduktion gefertigten Gütern, beispielsweise bei Autos, sind individuelle gestalterische Anpassungen, etwa bei Farben, optischen Elementen und Oberflächen, problemlos möglich.
Im Anschluss werden die vorgefertigten und maßgeschneiderten Elemente per Tieflader zum Haus transportiert und am Gebäude montiert. Das geht in der Regel schnell: Die Bewohner sind, im Vergleich zur traditionellen Sanierung, viel kürzer den Belastungen durch eine Baustelle ausgesetzt.
Zudem kommt eine Photovoltaikanlage auf das Dach. Ebenfalls vormontiert wird ein integriertes Energiemodul, das die gesamte Haustechnik enthält, darunter eine Wärmepumpe, die die alte Heizung ersetzt, ein Warmwasserspeicher, eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie die Elektronik für Photovoltaik und Monitoring. Das Modul wird als Gesamteinheit, die nur noch angeschlossen werden muss, auf die Baustelle geliefert. Durch das Aufstellen außerhalb der Gebäudehülle wird die laufende Wartung der Heizungsanlage für den Heizungsbauer und die Handwerksfachfirmen erheblich einfacher. Solche Module werden in den Niederlanden, dem Ursprungsland von Energiesprong, bereits in Serie gefertigt. In Deutschland werden gerade erste Module für den Mehrfamilienhausbereich entwickelt.
Durch die Vorfertigung sinkt der Personalaufwand vor Ort, je Fachkraft kann mehr saniert werden, die Planungssicherheit steigt. Die Standardisierung vereinfacht für den Auftraggeber auch den Ausschreibungs- und Bestellprozess. Statt vieler Einzelbeauftragungen und detaillierter Leistungsbeschreibungen kann bei einem Generalübernehmer das "Paket" Sanierung auf den Net-Zero-Standard bestellt werden. Dieses Unternehmen ist dann zentraler Ansprechpartner für den Auftraggeber und koordiniert alle beteiligten Akteure.
Eigentümern wie Bewohnern bietet der innovative Ansatz also viele Vorteile. Gleichzeitig ist klar, dass Energiesprong etablierte Sanierungsprozesse ergänzen und nicht ersetzen kann. Serielles Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip eignet sich zunächst insbesondere für die Gruppe kleinerer Mehrfamilienhäuser aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren mit einfacher Hülle und einem eher hohen Energieverbrauch von mindestens etwa 130 kWh/m²·a. Schätzungsweise 500.000 dieser Gebäude gibt es in Deutschland. Perspektivisch kommen auch andere Mehrfamilienhäuser, Einfamilienhäuser oder Nichtwohngebäude für eine Energiesprong-Sanierung in Frage. Auch hier bleibt eine relativ schlichte und gleichförmige Fassade aber Voraussetzung.
In der aktuellen Phase der Marktentwicklung ist der Energiesprong-Ansatz vor allem interessant für Eigentümer von Gebäudeserien. Das können auch kleinere Gebäudeserien, wie zum Beispiel fünf Mehrfamilienhäuser gleichen Bautyps, sein. Wie sich in anderen europäischen Ländern bereits gezeigt hat, entsteht durch die Energiesprong-Initiative ein neuer Sanierungsmarkt mit innovativen Produkten und Technologien, durch die auch Gebäude energetisch saniert werden können, die bisher nicht wirtschaftlich zu sanieren waren.
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Jedes nach dem Energiesprong-Prinzip sanierte Haus produziert genug Energie für Heizung, Warmwasser und Haushaltsgeräte. Geld, das für Energiekosten ausgegeben worden wäre, fließt in die Refinanzierung der Sanierung. Ziel ist, dass die Kosten für die warme Wohnung für die Bewohner nicht steigen und die energetische Qualität sowie der Innenraumkomfort für bis zu 30 Jahre garantiert werden.
Hinzu kommen die Einnahmen aus eingesparten Instandhaltungs- und Wartungskosten sowie dem Strom aus der auf dem Dach installierten Photovoltaikanlage. Eine attraktive Förderung (bis zu 27,5 Prozent Tilgungszuschuss) durch die KfW-Bank ist in der Regel möglich, da der KfW-„Effizienzhausstandard 55“ durch die Energiesprong-Sanierung erreicht wird. Gegebenenfalls können auch regionale Förderprogramme in Anspruch genommen werden. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg im Februar 2019 ein Förderprogramm für serielles Sanieren gestartet, das in Kombination mit den KfW-Programmen bis zu 40 Prozent der Baukosten bezuschusst.
Fünf der in den kommenden zwei Jahren anstehenden Prototypen werden durch das EU-Programm "INTERREG North-West-Europe" im Rahmen des Projekts "MUSTBE0" gefördert. Im Rahmen dieses Programms haben sich Energiesprong-Marktentwicklungsteams aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden zusammengeschlossen, um Nullenergie-Sanierungslösungen für Mehrfamilienhäuser in Nordwesteuropa zu entwickeln. Die Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) koordiniert das Marktentwicklungsteam in Deutschland und begleitet die Prototypen sehr eng. Die daraus entstehenden Erfahrungen werden genutzt, um sie auf folgende Gebäude zu übertragen, Innovationen anzustoßen und die Kosten schrittweise zu senken.
Bei den ersten Projekten ist eine höhere Förderung für eine gute Wirtschaftlichkeit unerlässlich, da Bauunternehmen anfänglich hohe Entwicklungskosten entstehen, die auf die ersten Projekte umgelegt werden. Daher sind auch in Deutschland derzeit die Kosten einer Energiesprong-Sanierung höher als die einer Standardmodernisierung.
Durch eine schrittweise Standardisierung der Prozesse und eine Optimierung der Planungen und Vorgehensweisen werden die Baukosten je Quadratmeter jedoch künftig bei einem größeren Absatzmarkt sinken. Ziel ist es, dass Energiesprong-Sanierungen zu einem Preis angeboten werden können, der sie gegenüber der heutigen Standardsanierung wirtschaftlich attraktiver macht. Vorbild und Vorreiter sind hier die Niederlande: In wenigen Jahren wurden dort rund 4.500 Gebäude mit einem Bauvolumen von rund einer halben Milliarde Euro nach dem Energiesprong-Prinzip saniert, die Kosten ließen sich dabei um rund 40 Prozent gegenüber den ersten Projekten reduzieren.
Weiteres Kostensenkungspotential kann sich aus optimierten Rahmenbedingungen, etwa beim Thema Mieterstrom, ergeben. Hier sind vereinfachte Regelungen wünschenswert, damit Eigentümer und Mieter in der Breite von bezahlbaren Net-Zero-Sanierungen profitieren können. Mit den richtigen Impulsen aus der Politik wird es noch schneller gelingen, den Markt für diesen innovativen Ansatz zu entwickeln und damit zum Auflösen des Sanierungsstaus beizutragen.
Weiterführende Informationen: https://www.energiesprong.de
Dienstag, 16.07.2019