Interview mit Lutz Bettels, Vice President und Regional Executive, Bentley Systems Germany GmbH.
Interview mit Lutz Bettels, Vice President und Regional Executive, Bentley Systems Germany GmbH.
Sehr geehrter Herr Bettels, bitte geben Sie unseren Leserinnen und Lesern zunächst einen kurzen Überblick über die Struktur und Tätigkeiten von Bentley Systems. Welche Zielgruppen arbeiten mit ihren Softwarelösungen?
Bentley Systems ist ein amerikanisches Unternehmen, das es seit über 30 Jahren gibt und das sich auf die Fahne geschrieben hat, mit allen Bereichen der Infrastrukturplanung entsprechende Softwarelösungen für den gesamten Lebenszyklus bereitzustellen. Unter Infrastruktur verstehen wir nicht nur das, was klassisch darunter mit Straßen und Schienen verstanden wird. Zur Infrastruktur gehören nach unserem Verständnis auch Gebäude und Anlagen. Wir bedienen sowohl die Besitzer und Betreiber von diesen Infrastrukturen wie auch die Planungsunternehmen, die Ingenieurgesellschaften bis hin zu den bauausführenden Unternehmen in den Bereichen Hoch- und Tiefbau, Straßenbau, Gleisbau. Des Weiteren gehören Versorgungsunternehmen und die Fertigungsindustrie, sowohl die Prozessindustrie als auch die diskrete Fertigung, zu unseren Zielgruppen.
Ihre digitalen Werkzeuge decken demnach vom "kleinen Wohnbauprojekt" über den "verschachtelten Fabrikkomplex" bis hin zu "großen Straßen- und Brückenbauten" vielfältige Anwendungen ab. Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen den unterschiedlichsten Anforderungen?
Die Anforderungen sind sicherlich vielfältig. Dennoch gibt es eine gemeinsame Basis, auf die wir sozusagen aufbauen. Egal in welcher Industrie geplant wird und egal ob man hier noch von CAD (Computer Aided Design), schon von BIM (Building Information Modeling) oder vom digitalen Zwilling spricht, es wird ein Planungswerkzeug gebraucht, das bestimmte graphische Fähigkeiten zur Verfügung stellt. Hier verfügen wir mit "MicroStation" über eine gemeinsame Basis. Auf dieser werden die relevanten Fachapplikationen aufgesetzt. Das heißt, auf einer gemeinsamen Basis, wo 50, 60 bis 70 Prozent bereits vorhanden sind, werden Fachapplikationen so aufgesetzt, dass für eine Industrie geplant werden kann. Im Bereich Hochbau reicht die Spannbreite vom Fertighaushersteller bis hin zu Fabriken in der Automobilbranche und in der Chemie, wo unsere Lösungen ebenso zur Planung eingesetzt wer-den wie auch im klassischen Infrastrukturbereich, das heißt im Straßenbau, Gleisbau, Brückenbau. Dort auch von kleinen Projekten, wo Straßenabschnitte renoviert werden, bis hin zu Großprojekten, die neu realisiert werden, wo beispielsweise neue Gleistrassen oder auch neue Autobahnen entstehen.
Ebenfalls gemeinsam ist all diesen Industrien unabhängig von der Größe des Projektes, dass Daten entsprechend verwaltet werden. Auch für das Informationsmanagement gibt es eine gemeinsame Plattform, "ProjectWise". Die Lösung erlaubt es, unabhängig von der Industrie und unabhängig von der Industriegröße, die Informationen eines Projektes zu verwalten und die Projektbeteiligten zusammenarbeiten zu lassen. Wir schaffen den Spagat mit Hilfe von den beiden grundlegenden Plattformen "MicroStation" und "ProjectWise", anhand derer sowohl die Konstruktion als auch die Kollaboration abgedeckt werden. Die darauf aufsetzenden Fachapplikationen, die Skalierung, werden je nach Projektgröße und Industriebereich gewählt, um tatsächlich jede Form von Projekten auch umsetzen zu können.
Zu Ihren Geschäftsfeldern bzw. Produktlinien zählt unter anderem die Planung von Anlagen der Energieversorgung. Bitte schildern Sie unseren Leserinnen und Lesern in einem Beispiel, mit welchen Lösungen Bentley Systems die Projektierung eines städtischen Gas- und Stromnetzes unterstützt.
Im Bereich Versorgungsunternehmen muss man unterscheiden zwischen den verschiedenen Teilnehmern: den Unternehmen, die Energie erzeugen, sowie den Firmen, die die Distribution/Verteilung übernehmen. Wenn ein Netzwerk geplant wird, ist dort alles, was im Bereich Infrastruktur gebraucht wird, mit involviert. Für die Planung eines Kraftwerkes oder Wasserwerkes beispielsweise sind das Lösungen für den Anlagenbau, die wir im Portfolio haben. Dort kommen die Anlagenplanungsprodukte zum Einsatz. Über die Hochbauplanungswerkzeuge, wie "OpenBuildings", werden die dazugehörigen Gebäude geplant. Mit dem Netzwerkinfosystem "OpenUtilities" werden Verteilnetzwerke geplant, egal ob Wassernetz oder Stromnetz, und damit kann auch entsprechend dokumentiert werden. Zudem kann auch die Berechnung eines Stromnetzes über integrierte Systeme des Unternehmens Siemens innerhalb unserer strategischen Partnerschaft mit eingebunden werden, so dass die Auslegung des Stromnetzes berechnet werden kann. Bei den Verteilungen an die Haushalte kann so weit gegangen werden, dass über die "OpenUtilities"-Lösung und die Partnerschaft mit Siemens andere Stromgeneratoren (zum Beispiel Solarpanels), die in das Stromnetz wieder zurückgespeist werden, geplant und berechnet werden können, also Lösungen zum Thema "DER" ("Distributed Energy Ressourcing").
Im Prinzip deckt Bentley Systems mit einem umfangreichen Portfolio den gesamten Planungs-, Erstellungs- und Betriebsprozess ab. Dahingehend können sogar für den Betrieb einer solchen Anlage die "AssetWise"-Lösungen eingesetzt werden, die es erlauben, zum einen compliancegerecht das Netzwerk zu dokumentieren. Zum anderen können hier Aussagen gemacht und Analysen gefahren werden hinsichtlich der Performance der Anlage bzw. des Netzwerkes, so dass im Betrieb auch an dieser Stelle entsprechende Optimierungen vorgenommen werden können.
Bleiben wir bei diesem Beispiel: Kostentransparenz/Wirtschaftlichkeit und Terminsicherheit spielen bei solchen sensiblen öffentlichen bzw. kommunalen Projekten eine tragende Rolle. Wie verbreitet sind hier "5D"-Ansätze bzw. Ansätze eines Lebenszyklusdatenmanagements?
Es ist richtig, dass Termin- und Kostensicherheit natürlich immer eine zentrale Rolle spielen in solchen Projekten. Gerade im öffentlichen und kommunalen Bereich sind die Überschreitungen an Zeit und Budgets auch immer gleich öffentlich und transparent, so dass hier mit Sicherheit ein Fokus darauf gelegt werden muss. Die klassischen Projektmanagementmethoden, die es auch die letzten 20, 30, 50 Jahre im Bauwesen gegeben hat, werden ergänzt durch Werkzeuge, die es erlauben, Kosten und Zeitplan nicht nur entsprechend zu planen, sondern auch nachzuverfolgen. Die meisten Projekte scheitern nicht daran, dass kein guter Projektplan erstellt wurde, sondern sie scheitern daran, dass die Pläne häufig mangelhaft weiterverfolgt wurden und man im Projektverlauf nicht genügend Informationen zum Projektstatus hatte, als dass man dort hätte steuernd eingreifen können.
Genau hier helfen 5D-Ansätze, die es erlauben, zum einem aus einem BIM-Modell die Mengen an Bauteilen zu ermitteln und die Mengen der Bauteile mit Kosten zu verknüpfen. Dann können die Soll-Kosten mit den Ist-Kosten des Projekts verknüpft werden. Gleichzeitig kann man im Prinzip sehen, wie der Kostenverlauf des Projektes aussieht, ob man noch im Budgetrahmen ist oder ob sich Risiken anbahnen, so dass eine Kostenüberschreitung ansteht. Man kann also frühzeitig erkennen, falls und wann die Kosten aus dem Ruder laufen und nicht erst dann, wenn das Bauunternehmen einen Nachtrag gibt und mehr Geld fordert. Gleiches gilt auch für den Zeitrahmen. Auch hier verfügt man über 4D-Werkzeuge, die es möglich machen, das 3D-Modell in baubare Einheiten zu zerlegen und diese mit einem Bauzeitenplan zu verknüpfen. Der Fortschritt kann auf der Baustelle erfasst werden und in dieses 4D-Modell eingepflegt werden, so dass man während der Bauausführung eine permanente Kontrolle hat, ob alles gebaut wurde, was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte gebaut werden sollen. Im Prinzip hat man darüber nicht nur eine Budget- und Zeitkontrolle zu Meilensteinen, sondern darüber hinaus kann man jederzeit Einsicht nehmen in das Projekt. Das heißt, eine Transparenz, wo man hinsichtlich Zeit und Kosten steht, ist vorhanden.
Werkzeuge wie "Synchro" kommen hier zum Einsatz. "Synchro" ist eine Akquisition, die Bentley letztes Jahr getätigt hat. "Synchro" unterstützt dabei, die Zeitkomponente abzudecken. Beispielsweise kann der Bauablaufplan visualisiert, der Baufortschritt auf der Baustelle erfasst und mit dem Bauzeitplan abgeglichen werden. Darüber kann man die Terminsicherheit gewährleisten. Über die Datenerfassung werden die verbauten Teile gelistet, die aufgrund der Mengenermittlung aus dem BIM-Modell generiert werden. Auf Basis der Datenerfassung auf der Baustelle kann das Kostenmanagementsystem einen Abgleich machen, so dass ersichtlich ist, ob man sich noch im Kostenrahmen bewegt.
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Zurück zum Hoch- und Industriebau: Die Angebotsvielfalt in Sachen Bausoftware ist für die potentiellen Anwender mittlerweile fast unüberschaubar. Gerade im Softwaremarkt für die Planung, Projektierung, den Bau und die Bewirtschaftung von Wohn- sowie Nichtwohngebäuden wirkt das Schlagwort "Building Information Modeling" (BIM) dabei wie ein Katalysator. Mit welchen Argumenten heben Sie sich hier "vom Rest der Welt" ab?
BIM ist in der Tat speziell in Deutschland auch in den letzten drei Jahren ein Trendbegriff geworden. Falls es ein Wort des Jahres gäbe, dann wäre es in unserer Branche sicherlich BIM. Das Problem mit BIM ist, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Das heißt, es gibt nach wie vor kein gemeinsames Verständnis davon, was BIM ist. BIM ist immer abhängig vom Betrachter und von dem, was er damit erreichen möchte. BIM ist im Wesentlichen ein Prozess und eine Methodik, wie ich ein Bauwerk plane. Zur Planung benötige ich ein Werkzeug und das ist wiederum die Software. Wir unterscheiden uns zum einen "vom Rest der Welt", indem man im Unternehmen dieser Sichtweise folgt, dass nicht die Software in den Vordergrund gestellt wird, wenn BIM behandelt wird, sondern wir in einem Unternehmen, das Beratung macht in dem Bereich und Know-how hat, den BIM-Prozess betrachten, der mit BIM als Methode abgedeckt werden soll.
Der Prozess bestimmt die Methodik, die zur Anwendung gebracht wird. Erst dann wird das entsprechende Werkzeug ausgewählt, das heißt, die Software, wobei verschiedene Softwareprodukte zur Auswahl stehen, um die Ziele, den Outcome für den Kunden zu realisieren. Das heißt also, dass das Produkt nachgeschaltet ist. Es heißt also bei Bentley nicht: "Kauf‘ dieses Produkt und dann kannst Du BIM!". Sondern: "Was willst Du erreichen? Was sind die KPIs, die Du als Kunde realisieren willst?" Dann folgt das Feedback, welcher Prozess und welches Produkt hierfür in Frage kommen und am besten geeignet sind.
Das Zweite, das dazukommt, wenn bei Bentley über BIM geredet wird, ist, dass nicht nur von der Erstellung des Gebäudemodells gesprochen wird, sondern wir bei BIM im Sinne von Building Information Management auch das Datenmanagement und die Zusammenarbeit der Planungsbeteiligten und Ausführungsbeteiligten im Hinterkopf haben, weil es hier nicht nur um die Modellierung geht, sondern wir das gesamte Informationsmanagement im Fokus haben. Das können die meisten anderen Unternehmen nicht, die entweder Daten modellieren oder Daten managen. Wir können beides.
Der dritte Punkt ist, dass wir eine ganzheitliche Sicht auf BIM haben und nicht nur Planung und Ausführung fokussieren, so wie es die meisten Mitbewerber machen. Sondern dadurch, dass wir stark in der Industrie und damit auch bei den Bauherren vertreten sind, betrachten wir den Lebenszyklus. Die Datenübergabe in den Betrieb ist für uns sehr wichtig. Wir haben die Lösungen, um Gebäude und Anlagen auch betreiben zu können, um Infrastruktur betreiben zu können. Wir haben einen wesentlich breiteren Ansatz als andere Marktbegleiter. Wir gehen noch einen Schritt weiter und erstellen nicht nur ein Modell, das irgendwann abgeschlossen ist. Wir gehen weiter und wollen ein aktuelles Abbild der Realität haben, womit wir dann beim sogenannten digitalen Zwilling sind.
Das virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben ist der Mega-Trend in der Bauwirtschaft. Wie würden Sie den aktuellen Status quo in der Verbreitung und Umsetzung dieser Denk- und Arbeitsweise beschreiben? Welche aktuell noch ungelösten Fragen treiben Sie um?
Das virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben ist ein Trend und sehr populär und ergänzt den Megatrend unserer Branche – BIM. Alle Marktbeteiligten erhoffen sich Verbesserungen, speziell in der Bauausführung. Allerdings stecken wir derzeit noch in den Kinderschuhen, das heißt, noch in der "Early Adopter"-Phase.
Mit Hilfe von "Mixed Reality" kann ein BIM-Modell mit der Realität verknüpft werden. Mit "Mixed Reality" sind der Baufortschritt und die Datenerhebung auf der Baustelle wesentlich effizienter. Was besser gelöst werden kann, ist die Integration der virtuellen Planungswerkzeuge, also wie diese Daten zurückfließen in die Planung, so dass Planungsänderungen leichter gemacht werden können, und wie das kommuniziert wird, wie diese erfassten Daten auch in die Kostenplanung eingebracht werden können. Hier gibt es Optimierungsmöglichkeiten! Wir können das mit "Synchro" eigentlich schon machen: Wir sehen große Baufirmen, die Pilotprojekte umsetzen, die sich zum Teil an größere Projekte heranwagen und dort sehr gute Erfahrungen machen. Aber das Ganze muss noch zur Reife geführt werden, damit es als grundsätzliches Werkzeug in jedem Bauprojekt eingesetzt werden kann. Dort sind wir allerdings momentan noch nicht angelangt. Das liegt zum einen daran, dass die Technologie neu ist und es liegt zum anderen daran, dass sich auch die Hardware, wie beispielsweise die "HoloLens", weiterentwickeln muss. Vor kurzem kam die "HoloLens2" heraus. Das ist ein guter Schritt vorwärts, weil sie leistungsfähiger ist und weil die Hardware auch besser geworden ist. Aber da stecken beispielsweise noch Kosten drin, die sich erst rechnen müssen. Da muss der Markt noch reifer werden. Wir sind in der "Early Adopter"-Phase und ich gehe davon aus, dass der Markt in den nächsten ein bis zwei Jahren an Momentum gewinnen wird und sicherlich die ersten Unternehmen auch dieses virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen als ihren Standardprozess implementieren werden.
Sie haben einen Wunsch frei, der die Planungs- und Baupraxis deutlich "unkomplizierter" bzw. effektiver macht. Wie würde dieser lauten?
Es ist nach wie vor die größte Herausforderung in der Branche, dass wir individuelle Firmen haben, die teilweise gegeneinander arbeiten. Es würde wesentlich unkomplizierter werden, wenn mehr kollaborative Ansätze in der Planerwelt und in der ausführenden Welt zum Einsatz kämen. Das ist zum Teil von den Bauherren und den Baufirmen gefördert, die sehr stark über den Preis gehen, wo man dann wenig Möglichkeiten hat, sozusagen "nett" zu sein, weil man ansonsten an Projektmarge verliert. So dass es immer noch ein Gegeneinander ist in Form von Schuldzuweisungen und Nachträgen, wo dann geklärt werden muss, wer die Nachträge zahlt und wie diese zustande gekommen sind. Anstatt eines Miteinanders, bei dem ein gemeinsames Projektziel definiert wird, hinter dem alle stehen, wo Anreize geschaffen werden, ein Bonussystem geschaffen wird, greift oft ein Malussystem, wo Leute bestraft werden, wenn etwas nicht so läuft. Das ist immer noch die größte Herausforderung!
Herr Bettels, vielen Dank für die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!
Weiterführende Informationen: https://www.bentley.com/de
Mittwoch, 03.07.2019