Mehrfach ausgezeichnet wurde das in München-Schwabing erbaute viergeschossige Mehrfamilienhaus "NEST4", geplant von den NEST Architekten. Das Gebäude überzeugt mit den positiven Materialeigenschaften von Holz – in Kombination mit weiteren cleveren Baumaterialien und viel Flexibilität.
- Seite 1
- Seite 2
Holz-Plusenergiehaus verschiebt Standards
Dienstag, 31.07.2018
Mit der Nutzung nachhaltiger Ressourcen steht ein Holzgebäude langfristig für Natürlichkeit und Behaglichkeit. So auch in München beim Projekt "NEST4". Der kompakte Baukörper im Passivhaus-Standard steht in München-Schwabing und wurde errichtet vom Münchner Bauträger NEST Solar Passivhaus GmbH & Co.KG – gemeinsam mit dem angegliederten Planungsbüro NEST Architekten GbR. Für den Holzbau verantwortlich war die Manufaktur Bergmüller aus Bayerbach – Mitglied der deutschlandweit aktiven ZimmerMeisterHaus-Gruppe.
Die NEST Architekten haben damit auf etwa 1.870 m² Gesamtwohnfläche 16 Wohneinheiten mit Wohnflächen von 91 bis 148 m² geschaffen. Davon sind 25 Prozent im "München Modell" – einem speziellen Förderprogramm der Stadt München – finanziert, die restlichen 75 Prozent sind frei finanzierte Wohnungen.
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Bauträgerverfahren wurden die 16 individuellen Wohnungsgrundrisse ebenso wie das Wohnumfeld von Anfang an gemeinsam mit den zukünftigen Bewohnern und Wohnungseigentümern geplant.
Gemeinsam mit den Nutzern geplant
Prägnant sind die umlaufenden Balkone, die den Anwohnern eine unmittelbare Kommunikation innerhalb des Gebäudes und in alle Richtungen ermöglichen. Alle Bewohner haben einen freien Blick zur Straße, zur umliegenden Bebauung und zu den eigenen Gartenbereichen. Die den Erdgeschoss-Wohnungen zugeordneten privaten Gärten ergänzen die beliebten Gemeinschaftsanteile. Gerade die gemeinschaftlich genutzten Flächen kommen bei allen Bewohnern gut an: Man nutzt sie als Spielplatz, Grillplatz sowie Kräuter- und Obstgärten.
Das Gebäude überrascht mit ungewöhnlichen Gestaltungsmerkmalen. Hinter der strikten Struktur und dem Fassadenraster versteckt sich viel Flexibilität.
Alle Wohnungen haben einen großzügigen Balkon und sind aufgrund der vielen großen Fenster besonders hell. Das flexible Holzbau-System ermöglichte eine individuelle Grundrissgestaltung und – im Falle einer Nutzungsänderung – einen unkomplizierten und schnellen Umbau.
Sämtliche innenliegenden Flure werden ausschließlich durch die Abwärme der Wohnungen mitbeheizt. Durch eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung in allen Wohnungen wird der Energieverbrauch weiter reduziert.
Hochfeuerhemmende Decken, Wände und Dächer
Durch die Leistungsfähigkeit des Baustoffes und die Verarbeitungsgenauigkeit im Holzbaubetrieb konnte man ein offenes und flexibel tragendes Holzbau-System verwenden. Die ZimmerMeisterHaus-Manufaktur Bergmüller errichtete den Holzrohbau mit den in der Zimmerei vorproduzierten Holzbau-Elementen binnen vier Wochen. Der gesamte Rohbau ist aus Holz gefertigt, lediglich die Tiefgarage sowie die Treppenhäuser und Aufzugtürme wurden in Stahlbeton gebaut. Die Tiefgarage hat man komplett ins Erdreich gesetzt.
"Für das Bauvorhaben war Brandschutz für die Gebäudeklasse 4 gefordert, also Feuerbeständigkeit für alle tragenden Wände, Pfeiler, Stützen und Decken", berichtet Dipl.-Ing. Robert Bergmüller, Senior-Chef bei Bergmüller Holzbau. Die Holzbau-Elemente mussten also aufgrund des geforderten Feuerwiderstands von 90 Minuten mit einer K260 Kapselung für die tragenden Teile gefertigt werden.
Die Wände hat man in bewährter Holzrahmenbaukonstruktion errichtet. Der Wandaufbau beginnt von außen nach innen mit einer hinterlüfteten Fassadenverkleidung, anschließend hat man eine Holzwerkstoffplatte aufgebracht, ergänzt um ein 280 mm starkes Riegelwerk. Dazwischen haben die Experten die Mineralfaserdämmung (Flammpunkt 1.000 °C) verlegt, auf der Innenseite schließt die Wand ebenfalls mit einer Holzwerkstoffplatte ab – darauf kam noch die Installationsebene mit Lattung und eine Gipskartonplatte als innere sichtbare Verkleidung.
Nach Bauvorschrift hat man die Decken mit einer Gesamtstärke von 468 mm gebaut, die K260 Kapselung mit 2 x 18 mm Gipsfaserplatten wurde mit Federschienen abgehängt. Zwischen den Deckenbalken hat man eine Mineralfaserdämmung hohlraumfüllend eingebracht, über dem Balken eine Holzwerkstoffplatte, darauf eine Schüttung und eine Trittschalldämmung und darüber den Nassestrich. Darüber kam ein Bodenbelag aus Parkettholz.
"Die Dachkonstruktion wurde als Pultdach ähnlich der Balkenlagen mit Stehfalzdeckung gebaut. Für den Brand- und Schallschutz gab es jeweils vor der Ausführung ein Gutachten, das alle relevanten Anforderungen berücksichtigte. Die beiden Gutachter begleiteten die Arbeiten während der gesamten Bauphase. Nach Abschluss der Arbeiten wurden zusätzlich noch präzise Schallschutz-Messungen ausgeführt. Als ausführender Holzbauer wurden wir von der TU München gemäß den gesetzlichen Anforderungen bei der Herstellung der hochfeuerhemmenden Decken, Wände und Dächer und auch direkt bei der Ausführung vor Ort überwacht und die Bauarbeiten fortlaufend kontrolliert", berichtet Robert Bergmüller.
Kapselung tragender Bauteile
Da von den Planern eine Konstruktion nach der Holzbaumusterrichtlinie vorgegeben wurde, spielte die Kapselung tragender Bauteile eine große Rolle. Bei der statischen Lastabtragung wurde deshalb eine Lösung gewählt, bei der Bauteile wie Wohnungstrennwände, die ohnehin zu kapseln waren, für die Ableitung der Kräfte herangezogen wurden. Schließlich leitete man die Vertikallasten dann über alle Querwände, Giebelwände Ost und West, Wohnungstrennwände und mit Stützen und Unterzügen in den einzelnen Wohnungen ab.
Die Horizontallasten wurden über die Deckenscheiben in die beiden massiven Versorgungstürme eingeleitet und über diese dann in die Fundamente abgeleitet. Stützen und Unterzüge mussten im Hinblick auf den Brandschutz gekapselt werden. Schallschutztechnisch wurden die Übergänge der Stützen in den einzelnen Stockwerken mit geschlitzten Stahlteilen entkoppelt und die Lasten über diese Stahlteile von einem Stockwerk in das andere übergeleitet.
Werkstatt-Planung mit allen Informationen in 3D
Die Werkstattplanung erfolgte vorab umfassend im 3D-Modus. Als Hilfsmittel für diese Pläne dienen gängige CAD-Programme, die in der Lage sein müssen, die einzelnen Bauteile aus den Zeichnungen direkt an Abbundmaschinen zu übergeben. Nach einem theodolitischen Aufmaß wurde mit der Werkplanung begonnen.
Das komplette Bauwerk und jedes darin enthaltene Einzelteil wurde bereits in der Planung konstruiert. Schon in dieser Phase hat man alle Details eindeutig geklärt und in die Planung eingearbeitet. Die Zeichnungen enthalten vom Holzstab über eventuell enthaltene Flächenelemente, Plattenwerkstoffe, Dämmstoffe, Fassadenbauteile und Verbindungsmittel bis hin zur letzten Schraube alle Informationen.
Sie haben eine Frage zu diesem Artikel? Dann stellen Sie der Redaktion hier Ihre Fachfrage!