Zurück zum Hoch- und Industriebau: Die Angebotsvielfalt in Sachen Bausoftware ist für die potentiellen Anwender mittlerweile fast unüberschaubar. Gerade im Softwaremarkt für die Planung, Projektierung, den Bau und die Bewirtschaftung von Wohn- sowie Nichtwohngebäuden wirkt das Schlagwort "Building Information Modeling" (BIM) dabei wie ein Katalysator. Mit welchen Argumenten heben Sie sich hier "vom Rest der Welt" ab?
BIM ist in der Tat speziell in Deutschland auch in den letzten drei Jahren ein Trendbegriff geworden. Falls es ein Wort des Jahres gäbe, dann wäre es in unserer Branche sicherlich BIM. Das Problem mit BIM ist, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Das heißt, es gibt nach wie vor kein gemeinsames Verständnis davon, was BIM ist. BIM ist immer abhängig vom Betrachter und von dem, was er damit erreichen möchte. BIM ist im Wesentlichen ein Prozess und eine Methodik, wie ich ein Bauwerk plane. Zur Planung benötige ich ein Werkzeug und das ist wiederum die Software. Wir unterscheiden uns zum einen "vom Rest der Welt", indem man im Unternehmen dieser Sichtweise folgt, dass nicht die Software in den Vordergrund gestellt wird, wenn BIM behandelt wird, sondern wir in einem Unternehmen, das Beratung macht in dem Bereich und Know-how hat, den BIM-Prozess betrachten, der mit BIM als Methode abgedeckt werden soll.
Der Prozess bestimmt die Methodik, die zur Anwendung gebracht wird. Erst dann wird das entsprechende Werkzeug ausgewählt, das heißt, die Software, wobei verschiedene Softwareprodukte zur Auswahl stehen, um die Ziele, den Outcome für den Kunden zu realisieren. Das heißt also, dass das Produkt nachgeschaltet ist. Es heißt also bei Bentley nicht: "Kauf‘ dieses Produkt und dann kannst Du BIM!". Sondern: "Was willst Du erreichen? Was sind die KPIs, die Du als Kunde realisieren willst?" Dann folgt das Feedback, welcher Prozess und welches Produkt hierfür in Frage kommen und am besten geeignet sind.
Das Zweite, das dazukommt, wenn bei Bentley über BIM geredet wird, ist, dass nicht nur von der Erstellung des Gebäudemodells gesprochen wird, sondern wir bei BIM im Sinne von Building Information Management auch das Datenmanagement und die Zusammenarbeit der Planungsbeteiligten und Ausführungsbeteiligten im Hinterkopf haben, weil es hier nicht nur um die Modellierung geht, sondern wir das gesamte Informationsmanagement im Fokus haben. Das können die meisten anderen Unternehmen nicht, die entweder Daten modellieren oder Daten managen. Wir können beides.
Der dritte Punkt ist, dass wir eine ganzheitliche Sicht auf BIM haben und nicht nur Planung und Ausführung fokussieren, so wie es die meisten Mitbewerber machen. Sondern dadurch, dass wir stark in der Industrie und damit auch bei den Bauherren vertreten sind, betrachten wir den Lebenszyklus. Die Datenübergabe in den Betrieb ist für uns sehr wichtig. Wir haben die Lösungen, um Gebäude und Anlagen auch betreiben zu können, um Infrastruktur betreiben zu können. Wir haben einen wesentlich breiteren Ansatz als andere Marktbegleiter. Wir gehen noch einen Schritt weiter und erstellen nicht nur ein Modell, das irgendwann abgeschlossen ist. Wir gehen weiter und wollen ein aktuelles Abbild der Realität haben, womit wir dann beim sogenannten digitalen Zwilling sind.
Das virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben ist der Mega-Trend in der Bauwirtschaft. Wie würden Sie den aktuellen Status quo in der Verbreitung und Umsetzung dieser Denk- und Arbeitsweise beschreiben? Welche aktuell noch ungelösten Fragen treiben Sie um?
Das virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben ist ein Trend und sehr populär und ergänzt den Megatrend unserer Branche – BIM. Alle Marktbeteiligten erhoffen sich Verbesserungen, speziell in der Bauausführung. Allerdings stecken wir derzeit noch in den Kinderschuhen, das heißt, noch in der "Early Adopter"-Phase.
Mit Hilfe von "Mixed Reality" kann ein BIM-Modell mit der Realität verknüpft werden. Mit "Mixed Reality" sind der Baufortschritt und die Datenerhebung auf der Baustelle wesentlich effizienter. Was besser gelöst werden kann, ist die Integration der virtuellen Planungswerkzeuge, also wie diese Daten zurückfließen in die Planung, so dass Planungsänderungen leichter gemacht werden können, und wie das kommuniziert wird, wie diese erfassten Daten auch in die Kostenplanung eingebracht werden können. Hier gibt es Optimierungsmöglichkeiten! Wir können das mit "Synchro" eigentlich schon machen: Wir sehen große Baufirmen, die Pilotprojekte umsetzen, die sich zum Teil an größere Projekte heranwagen und dort sehr gute Erfahrungen machen. Aber das Ganze muss noch zur Reife geführt werden, damit es als grundsätzliches Werkzeug in jedem Bauprojekt eingesetzt werden kann. Dort sind wir allerdings momentan noch nicht angelangt. Das liegt zum einen daran, dass die Technologie neu ist und es liegt zum anderen daran, dass sich auch die Hardware, wie beispielsweise die "HoloLens", weiterentwickeln muss. Vor kurzem kam die "HoloLens2" heraus. Das ist ein guter Schritt vorwärts, weil sie leistungsfähiger ist und weil die Hardware auch besser geworden ist. Aber da stecken beispielsweise noch Kosten drin, die sich erst rechnen müssen. Da muss der Markt noch reifer werden. Wir sind in der "Early Adopter"-Phase und ich gehe davon aus, dass der Markt in den nächsten ein bis zwei Jahren an Momentum gewinnen wird und sicherlich die ersten Unternehmen auch dieses virtuelle und integrative Entwerfen, Planen, Bauen als ihren Standardprozess implementieren werden.
Sie haben einen Wunsch frei, der die Planungs- und Baupraxis deutlich "unkomplizierter" bzw. effektiver macht. Wie würde dieser lauten?
Es ist nach wie vor die größte Herausforderung in der Branche, dass wir individuelle Firmen haben, die teilweise gegeneinander arbeiten. Es würde wesentlich unkomplizierter werden, wenn mehr kollaborative Ansätze in der Planerwelt und in der ausführenden Welt zum Einsatz kämen. Das ist zum Teil von den Bauherren und den Baufirmen gefördert, die sehr stark über den Preis gehen, wo man dann wenig Möglichkeiten hat, sozusagen "nett" zu sein, weil man ansonsten an Projektmarge verliert. So dass es immer noch ein Gegeneinander ist in Form von Schuldzuweisungen und Nachträgen, wo dann geklärt werden muss, wer die Nachträge zahlt und wie diese zustande gekommen sind. Anstatt eines Miteinanders, bei dem ein gemeinsames Projektziel definiert wird, hinter dem alle stehen, wo Anreize geschaffen werden, ein Bonussystem geschaffen wird, greift oft ein Malussystem, wo Leute bestraft werden, wenn etwas nicht so läuft. Das ist immer noch die größte Herausforderung!
Herr Bettels, vielen Dank für die spannenden Einblicke in Ihre Arbeit!