Prof. Dr. Andreas Koenen zur Rolle des DIN im Kontext der geplanten Baurechtsreform.
Bau-Influencer DIN: Wie verbindlich darf freiwillig sein?
Donnerstag, 01.08.2024
Die Baubranche diskutiert aktuell intensiv, wie eine Baurechtsreform zum Gebäudetyp E aussehen müsste, die ihr Ziel trifft: Baukosten senken, Wohnqualität halten. Im Rahmen der öffentlich geführten Debatte spielen Gutachten eine Rolle, die DIN-Normen als allgemeine Regel der Technik (aRdT) und damit als Mindeststandards für Bauvorhaben einstufen. Das DIN – Deutsche Institut für Normung e.V. betont hierbei allerdings, dass die von ihm veröffentlichten Normen lediglich Empfehlungen seien. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch die volle Wirkung dieser Empfehlungen, und zwar in öffentlich-rechtlicher wie in zivilrechtlicher Hinsicht. So sollte 2018 zum Beispiel die Einführung der DIN 18040 als Technische Baubestimmung zum Barrierefreien Bauen in Nordrhein-Westfalen Klarheit und Transparenz für alle am Bau Beteiligte bringen. Eine Verwaltungsvorschrift, begründet auf der Norm eines Instituts, das die freiwillige Anwendbarkeit betont?
Gutachten ohne Grundlage
Umgesetzte oder nicht umgesetzte DIN-Normen als aRdT sind regelmäßig Gegenstand in Bauprozessen, die sich mit Mängeln und Haftungsfragen beschäftigen. Fragen, deren Antworten vor Gericht Sachverständigen überlassen bleiben. Ihre Einschätzungen, nicht die der Richter:innen, verhelfen den DIN-Normen über den Umweg aRdT und den Begriff „Feststellung“ zur Verbindlichkeit. Theoretisch könnten Sachverständige diesen Weg verlassen und zu DIN-losgelösten Einschätzungen der bautechnischen Lage kommen. In der Praxis findet das jedoch nicht statt. Regelmäßig zitieren Sachverständige sogar diese DIN-Normen, ohne diese beizufügen. Der Grund ist so einfach wie überraschend: Die von ihm veröffentlichten Normen sind urheberrechtlich geschützt und die Nutzung damit kostenpflichtig.
Fachkundige Unternehmen im Blindflug
In der Diskussion zur Baurechtsreform spricht die Branche auch von der Einführung des "Gebäudebauvertrags zwischen fachkundigen Unternehmern" (§ 650o BGB-E). Diese Regelung soll Abweichungen von den anerkannten Regeln der Technik ermöglichen, jedenfalls solange die Sicherheit gewährleistet bleibt. Besagte Unternehmen entscheiden dann im Rahmen eines Bauvertrags, auf welche Standards, auf welche DIN-Normen sie verzichten wollen. Doch woher sollen sie wissen, wovon sie abrücken, wenn sie die Normen nicht kostenfrei einsehen können? Kurzum: Sie sollen aufgeben, was sie nicht kennen.
Sinnstiftend wäre es, wenn fachkundige Unternehmen Verträge über die Erstellung von Gebäuden abschließen, in denen deutlich erkennbar ist, welche technischen Standards berücksichtigt werden und welche nicht. Das setzt allerdings die Offenlegung aller relevanten DIN-Normen voraus. Das wiederum bedeutet zusätzliche Kosten, die die erhofften Einsparungen am Bau wieder zunichtemachen.
Hinter DIN-Türen
Das DIN - Deutsche Institut für Normung e.V. existiert seit 1917 als gemeinnütziger, durch Steuern finanzierter Verein. Seine Aufgabe ist es laut Satzung, die Entstehung von Normen zu begleiten und zu überwachen. Dies geschieht in aus Fachpersonen zusammengesetzten Normungsausschüssen und Arbeitsausschüssen. Die Beteiligung an letzteren, normgebenden Ausschüssen ist kostenpflichtig und kostet neben Geld vor allem Arbeitszeit. Zeit, für die nur große Unternehmen und Interessenverbände Mitarbeitende abstellen können.
Die in den Arbeitsausschüssen entwickelten DIN-Normen wirken in die Zivilgesellschaft allerdings eher wie Gesetze denn als Handlungsempfehlungen - und das, obwohl sie von keinem Parlament verabschiedet werden. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als Ergebnisse von Vereinsarbeit durch – in ihrer Außenwahrnehmung intransparente – Gremien. Seit Jahrzehnten prägen diese die Rechtswirklichkeit, vor allem im Baubereich, ohne dass es sich dabei um Gesetze im materiellen Sinne (wie dies z.B. bei einer Rechtsverordnung wie der StVO der Fall ist) oder gar im formellen Sinne (Parlamentsgesetz) handelt.
Zurück zum Anfang
Nach dem Selbstverständnis des DIN sollen Normen ein Rationalisierungsinstrument darstellen, mit dessen Hilfen Baukosten gedeckt werden können. Dies überrascht insofern, als dass die DIN-Flut und die damit vermeintlich verbundenen Qualitäts-Steigerungen Auslöser der aktuellen Diskussion zur Kostenreduzierung waren. Aus der Normierungsflut des DIN ist also erst die Idee des Gebäudetyps E hervorgegangen.
Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass alle am Bau Beteiligten – von Bauherren bis zu Bauträgern, von Architekt:innen über Bauunternehmen bis zu Gutachter:innen und Richter:innen – von Normen diktiert werden, die nur wenige kennen, noch weniger eingesehen haben, in jedem Fall aber niemand verbindlich verabschiedet hat und wir alle bezahlen müssen.