Wenn man sich die heutige Bautätigkeit anschaut, ist es kaum vorstellbar, wie das alles einst seinen Anfang genommen hat. Und doch ist bei genauem Hinschauen so mancher historische Entwicklungssprung auch noch heute an Gebäuden ablesbar.
Die Gebäudehülle – vom Bedürfnis zum Bedarf
Dienstag, 31.08.2021
Die ersten Menschen kannten weder Gebäude, noch konnten sie sich den Luxus leisten, über das Wohnen nachzudenken – bei ihnen ging es schlicht ums Überleben. Wurde eine Umgebung zu unwirtlich, hatten sie die Chance, darauf zu reagieren oder zu fliehen. Insofern waren die ersten baulichen Ansätze nichts anderes als einfache Schutzvorrichtungen oder reine Glücksfälle. Es galt, sich umzusehen und mit dem Vorhandenen etwas anzufangen. So bauten die Inuit ihre Iglus aus dem Schnee, der sie umgab, um sich vor der Kälte zu schützen, wie die in Tunesien ansässigen Berber vor der Hitze in die berühmten Höhlen von Matmata flüchteten. Übrigens, beide archaischen Lösungen sind noch heute in Betrieb.
Die klimatischen Bedingungen spielten in dieser Entwicklung eine gewichtige Rolle, denn wo weder Hitze noch Kälte eine Gefahr darstellten, konnte der Wetterschutz entsprechend einfach ausfallen. Viele Menschen, beispielsweise auf Madagaskar, leben in einfachsten Palmwedelhütten ohne Strom oder fließendes Wasser und würden sich doch niemals selbst als arm betrachten. Ihr ganzes Leben findet im Freien statt und sie brauchen tatsächlich nicht mehr als einen einfachen Unterschlupf für die Nacht.
Von dieser Schlichtheit haben wir uns weit entfernt, doch auch hierzulande ist bei der Errichtung der „eigenen vier Wände“ – wie anderer Gebäude – häufig ein regionaler Bezug zu erkennen. Und zwar von der Auswahl der Baustoffe bis hin zur Konstruktion der Wandbildner. Und es lassen sich gewisse „Moden“ beobachten, ebenso wie deren periodische Wiederkehr. Wenn auch die Zeiträume im Bauwesen weiter gefasst sind als auf dem Laufsteg, so erleben doch beispielsweise Holz, Stahl, Glas, Naturstein nicht nur regional, sondern auch temporär gestaffelt unterschiedliche Höhepunkte der Beliebtheit.
Einschalige Wand
Bei der einschaligen Wand handelt es sich zunächst um eine archetypische Konstruktion, was nicht heißt, dass sie nicht mehr zeitgemäß wäre. Diese ursprüngliche Wand wurde aus dem vorhandenen Material errichtet, etwa aus Holz, Feldsteinen oder Ziegeln. Ihre bauphysikalischen Eigenschaften leiteten sich aus dem Material selbst ab sowie aus dem Geschick ihrer Verarbeiter – daran hat sich ebenfalls nichts geändert. So verfügt zum Beispiel eine sauber aus Blockbohlen gefügte Wand mit ihren niedrigen λ-Werten natürlicherweise über recht gute Dämmwerte (der Lambda-Wert bezeichnet die Wärmeleitfähigkeit eines Materials, ausgedrückt in W/mK. Je geringer der Wert, desto weniger Wärme wird über das Material transportiert), während eine massive, aus Naturstein gemauerte Wand, mit ihren hohen c-Werten eher den sommerlichen Wärmeschutz unterstützt (die spezifische Wärmekapazität bezeichnet die Wärmespeicherfähigkeit eines Materials, ausgedrückt in J/kgK. Je höher dieser Wert, desto länger speichert ein Material die Wärme).
Die heutigen Anforderungen, insbesondere an den Wärmeschutz, führten zu zahlreichen Entwicklungen an und in der Mauer. Mit Dämmung gefüllte Hochlochziegel bringen die Dämmung zum Beispiel bereits in die tragende Wand. Dabei sind jedoch stets die Eigenschaften Dämmfähigkeit und Druckfestigkeit abzuwägen, da sie sich wechselseitig beeinflussen. Ganz einfach ausgedrückt, nimmt der eine Wert ab, nimmt der andere tendenziell zu, was sich jeweils auf die Dämmleistung bzw. auf die Statik auswirkt. Häufig wird auf ein einschaliges Mauerwerk als Dämmung ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) aufgebracht. Dieses besteht grundsätzlich aus der Dämmung sowie einer Armierung mit aufgebrachter Putzschicht. Als Dämmmaterial kommen Holzfasern, EPS (Expandierter Polystyrol-Hartschaum) und Mineralwolle zum Einsatz. WDVS sind kostengünstig, lassen sich leicht verarbeiten und auch im Bestand einsetzen. Hinsichtlich ihres Brandverhaltens sowie der Nachhaltigkeit unterscheiden sich die Systeme zum Teil deutlich voneinander. Ganz allgemein gilt, dass WDVS mechanischer Beanspruchung wenig entgegenzusetzen haben. Auch das klassische Fachwerkhaus verfügt über einen einschaligen Wandaufbau. Hier übernimmt eine Holzbalkenkonstruk-tion die statischen Aufgaben, während deren Gefache üblicherweise mit Lehmputz verschlossen wurden oder die Fensterrahmen aufnahmen.
Zweischalige Wand
Der zweischalige Wandaufbau erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, denn hier wird der inneren Wand eine weitere hinzugefügt. Dabei werden in die tragende Wand alle anfallenden Kräfte eingeleitet, während die äußere die Aufgabe des Wetterschutzes sowie repräsentative Pflichten übernimmt. Die Dämmung wird von außen auf die tragende Wand aufgebracht. Zwischen dieser und der Vorsatzschale kann eine Luftschicht (mindestens 4 cm) eingeplant werden, welche eventuell eingetragene Feuchtigkeit ablüftet und im Sommer für eine Hinterlüftung der aufgeheizten Vorsatzschale sorgt. Beim klassischen Wandaufbau muss darauf geachtet werden, dass der Dampfdiffusionswiderstand der Baumaterialien von innen nach außen abnimmt. Entfällt die Luftschicht, spricht man von einer Kerndämmung. Bei dieser kommt es darauf an, hydrophobierende (wasserabweisende) Dämmmaterialien zu verwenden, damit Kondensfeuchte von der Außenschale nicht in die Dämmung gelangen und so die Dämmwirkung herabsetzen kann. Aufgrund des hohen Flächengewichtes weisen zweischalige Wände eine hohe thermische Trägheit auf, die dem sommerlichen Wärmeschutz (Phasenverschiebung) zugutekommt und sich positiv auf die akustischen Eigenschaften auswirkt. Natürlich erfordert diese Bauweise einen gewissen baulichen Aufwand und große Sorgfalt bei der Detailausbildung, was sich auch in den Kosten niederschlägt. Diesen gegenüber steht jedoch in der Regel ein werthaltiges Gebäude mit guten bauphysikalischen Eigenschaften.
Vorgehängte Hinterlüftete Fassade
Bei der Vorgehängten Hinterlüfteten Fassade (VHF) handelt es sich um die jüngste der drei Konstruktionsweisen, die den Versuch unternimmt, die Vorteile mehrerer Bauweisen zusammenzubringen: Auf eine tragende Wand wird die Dämmung aufgebracht – und eine leichte Unterkonstruktion, die aus Stahl-, Aluminiumprofilen oder Holz bestehen kann. Diese nimmt die eigentlichen Fassadenelemente so auf, dass diese ausreichend hinterlüftet werden. Auf diese Weise entsteht ebenfalls eine „Zweischaligkeit“, welche aber nicht vorgestellt, sondern vorgehängt und dabei so leicht ist, dass sie bis in große Höhen geführt werden kann. Durch die freie Wählbarkeit des Abstandes von Gebäudehülle und tragender Wand kann die Dämmdicke den Anforderungen entsprechend ausfallen, in jedem Fall aber sind Dämmung und Konstruktion durch die Fassadenelemente geschützt. Diese können aus verschiedenen Materialien bestehen. Verbreitet sind solche aus HPL (High Pressure Laminate), Faserzement, Metall, Schiefertafeln und Aluminiumverbundmaterial. Letztere lassen sich nieten, verschrauben und, nicht sichtbar befestigt, als Kassetten einhängen. Eine VHF bietet durch den modularen Aufbau und die Trennung der Funktionen Statik, Dämmung und Wetterschutz die Möglichkeit, leichte und wandelbare Fassaden zu bauen – und zwar vom Wolkenkratzer bis zum Einfamilienhaus. Bei Veränderungen oder dem Rückbau der Fassade am Ende der Nutzungsdauer liegen die einzelnen Elemente der VHF sortenrein getrennt vor und sind damit voll recycelbar.
Fassade und Funktion
Neben dem reinen Wetterschutz erfüllen Fassaden längst eine Vielzahl von technischen und gestalterischen Aufgaben. So tragen zum Beispiel Photovoltaik-Elemente auch auf entsprechend exponierten Fassaden häufig zur Deckung des Energiebedarfs bei. Tageslichtsysteme fangen mit speziellen Kuppeln eben dieses ein und leiten es in das Innere von Gebäuden. Sogenannte Klimafassaden verfügen über eine weitere, meist gläserne, geschlossene Hülle, innerhalb derer im Sommer durch aufsteigende warme Luft ein Kamineffekt entsteht, der das Gebäude kühlen soll.
Fassaden werden begrünt, ebenso wie Dächer, und auch in Innenräumen entsteht durch vertikale Bepflanzungen ein angenehmeres Raumklima. Medienfassaden ziehen die Aufmerksamkeit durch Lichtinstallationen oder LED-Bildschirme auf sich und transportieren Werbebotschaften oder dienen der Kunst. Lichtinstallationen über ganze Fassadenflächen schaffen es sogar, im urbanen Raum, inmitten eines Meeres von Lampen und Leuchten, einzelne Gebäude temporär hervorzuheben. Und inzwischen werden sogar Gebäude im Betondruck errichtet, bei denen der Herstellungsprozess (noch) direkt an der Gebäudehülle abzulesen ist.
Die technischen und gestalterischen Möglichkeiten, die heute bei der Planung einer Fassade zur Verfügung stehen, sind nahezu unüberschaubar. Deshalb ist es unerlässlich, gleich zu Anfang des Prozesses den Bedarf wie die Bedürfnisse und natürlich auch die technischen wie die finanziellen Mittel zu bestimmen, denn möglich ist nahezu alles. Die Fassade ist das Gesicht eines Gebäudes (der Begriff stammt vom lateinischen Wort facies = Gesicht) und sollte deshalb auch zu dem Gebäude und seiner Aufgabe passen. Außerdem müssen alle technischen Aufgaben, welche die Fassade übernehmen soll, im Inneren des Gebäudes ihre infrastrukturelle Entsprechung und Anbindung finden. Und schließlich sollte man sich rechtzeitig und intensiv mit der Wirkung der Fassade, also mit der Mimik des Gesichts – um im Bild zu bleiben –, beschäftigen. Die Türme der Deutschen Bank in Frankfurt/M., zum Beispiel, sollten mit der damals sehr beliebten Glasfassade Offenheit und Transparenz signalisieren, und werden heute doch meist eher als monolithisch, spiegelnd und abweisend wahrgenommen.
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