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Die Rolle der Souveränität von Bauherren in der integralen Planung

Ein Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Andreas Koenen zum Kräfteverhältnis von Anwälten, Projektsteuerern und Planern (Ingenieuren und Architekten).

Donnerstag, 11.07.2024

Was Baurechtsanwälte können, können nur Baurechtsanwälte: Architekten, Ingenieure und Projektsteuerer sind keine Rechtsberater.

Quelle: AdobeStock

Zwar schienen manche Oberlandesgerichte und selbst der Bundesgerichtshof diese Tatsache in der Vergangenheit immer wieder in Frage zu stellen. Und auch die Praxis sah anders aus. Architekten, Ingenieure und Projektsteuerer hantierten mit Klauseln und Verträgen, als gäbe es dafür keine Fachjuristen. Doch woher rührt dieses „Missverständnis“?

Zum einen schienen einzelne Leistungen aus dem HOAI-Katalog für Projektsteuerer (in der bis zum 17.08.2009 geltenden Fassung der HOAI, die wegen Verstoßes gegen die Ermächtigungsgrundlage aufgehoben wurde), Architekten und Ingenieure darauf hinzudeuten, dass die HOAI zumindest diesen Berufsgruppen teilweise die Rolle eines sogenannten „operativen Rechtsberaters“ beigemessen und – jedenfalls bezogen auf die Architekten – deswegen entsprechende Leistungen in den Katalog der Grundleistungen aufgenommen wurden. Diese Grundleistungen haben Bauherren gerne in Anspruch genommen, obwohl sie nach der Definition des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen, kurz: RDG, als unerlaubte Leistungen eingestuft werden, bei denen es immer nur um die Frage ging, ob die Erledigung dieser Aufgaben den Architekten als sogenannte Nebenleistung (§ 5 RDG) erlaubt ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Aufgaben eines Architekten laut den Architekten- und Baukammergesetzen der Länder weit gefasst sind. Die Bauherrenberatung beim Verfassen von Verträgen mit den beteiligten Unternehmen gehörte nach dem Verständnis zahlreicher Architekten und Ingenieure daher zu ihrem Berufsbild. So dachte auch ein Architekt, der seinem Auftraggeber eine selbst entworfene Skontoklausel für Bauverträge zur Verfügung gestellt hatte. Damit handelte er jedoch unerlaubt als Rechtsberater, entschied der BGH in einem weitreichenden Urteil.

Diese richterliche Entscheidung aus dem November 2023 hat jeglichen Interpretationsspielräumen zum Aufgabengebiet von Architekten als „operative Rechtsberater“ ein Ende gesetzt. Das bundesweit geltende RDG hat Vorrang vor landespezifischen Regelungen, so das Urteil. Auch die Frage, welche Bedeutung der HOAI-Passus zum „Mitwirken bei der Auftragserteilung“ hat, wurde durch den BGH nun eindeutig beantwortet: der Erlaubnistatbestand für die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nach § 3 RDG greift nicht für Architekten, die HOAI-Regelung ist somit unwirksam.

Unmittelbar nach Urteilsverkündung schlugen die medialen Wellen hoch. Das Echo hängt sicher damit zusammen, dass der BGH in seiner Begründung auf fachliche Defizite von Architekten in puncto Rechtskenntnisse hingewiesen und auf dieser Basis den einzig folgerichtigen Lösungsansatz formuliert hat. „Der Architekt muss den Bauherrn nur darauf hinweisen, dass ihm eine solche Tätigkeit nicht erlaubt ist und sich der Bauherr insoweit an einen Rechtsanwalt zu wenden hat (…)“, heißt es in der Entscheidung. Denn: Die Erstellung einer Skontoklausel für Bauverträge wie im konkreten Fall sei eine Rechtsdienstleistung, die nicht zum Berufs- oder Tätigkeitsfeld des Architekten gehöre.

Persönliche Einschätzung der Tragweite

Ich gehe davon aus, dass das erwähnte BGH-Urteil das Verhältnis von Bauherren, Architekten, Ingenieuren und Planern grundlegend verändern wird. In juristischer Hinsicht ist im positiven Sinne vieles in Bewegung, was sich auch auf die Qualität integraler Planung bei zukünftigen Bauvorhaben auswirken dürfte.

In einem Podcast (https://podcast.lawyer) sprach ich darüber und über die Konsequenzen des Urteils mit Ekkehard Scholz, Geschäftsführer der ITS Ingenieur-Technik Scholz GmbH in Essen. Er begrüßt die Klarheit bei der Aufgabenteilung, die nun von Gesetzes wegen vorgegeben worden ist. Den damit zwangsläufig einhergehenden Veränderungsprozess würde er als Fachplaner als sehr positiv empfinden. Planer könnten sich nun wieder auf ihre originäre Tätigkeit konzentrieren. In den vergangenen zehn bis 20 Jahren hätten sie sich nach dem Willen der Bauherren mehr mit Verträgen und Terminen beschäftigen müssen, als sich um bautechnische Lösungen kümmern zu können und zu dürfen.

Interessenlagen bei der Planung hatten Bauherren aus ihrer zentralen Rolle gedrängt

In den letzten 20 Jahren haben sich Architekten und Ingenieure als „operative Rechtsberater“ bezeichnet und verstanden. Diese „operativen Rechtsberater“ haben jedoch naturgemäß eigene Interessen, die sich von den Interessen des Bauherrn deutlich unterscheiden. Die eigenen Interessen von Planern waren aufgrund der von der Rechtsprechung formulierten Zunahme ihrer haftungsrechtlich relevanten Anforderungen von diesen kaum mehr auszublenden. Dabei waren den Planenden die damit verbundenen Folgen jedoch nicht bewusst, zumal dort nur ein sehr vages Verständnis von dem vorherrschte, was Rechtsberatung eigentlich heißt, nämlich ausschließlich die Interessen der von ihnen vertretenen Bauherren im Blick zu haben.

Jeder Rechtsberater, der diese Aufgabe ernst nimmt, muss sich in die Rolle des Bauherrn versetzen. Wo Planer allein aus haftungsrechtlichen Gründen ihre eigenen Interessen im Blick haben (müssen), steht für (bau-)anwaltliche Rechtsberater einzig der Auftraggeber, der Nutzer des Gebäudes, im Fokus. Hinzu kam und kommt nach wie vor, das vom BGH in der Entscheidung vom 09.11.2023 thematisierte Ausbildungsdefizit der Architekten und Ingenieure gegenüber den hierauf spezialisierten Baujuristen. Im erwähnten Podcast brachte es mein Interviewpartner auf den Punkt: Sie seien in den letzten 20 bis 30 Jahren „die operativen Rechtsberater der Bauherren“ gewesen, und zwar – mangels juristischer Ausbildung – nicht mit entsprechenden Fachkenntnissen, sondern „auf der Basis unserer Kenntnisse vom operativen Geschäft“.

Das hatte fatale Folgen, weil Bauherren dadurch faktisch aus ihren eigenen Bauvorhaben herausgedrängt worden waren. Die wichtigen Fragen wurden von Berufsgruppen beantwortet, die eigene Ziele verfolgten und in der Regel weder willens noch in der Lage waren, ihre Auftraggeber, die Bauherren, über die ihren Entscheidungen und Empfehlungen zugrundeliegenden rechtlichen Rahmenbedingungen aufzuklären und diesen damit die eigentliche Entscheidung zu überlassen. Und damit ist klar, dass Bauherren in einer solchen Gemengelage gar nicht die maßgebliche Instanz waren bzw. sein konnten, zumal Bauherren selbst diese zentrale Position auch nicht als ihre Kernaufgabe wahrgenommen haben, weil hierfür keine Praxis existierte. Ich bin der festen Überzeugung, dass aus dieser „Ohnmacht“ des Bauherrn viele Probleme bei Bauvorhaben herrühren.

„Für mich lässt sich integrale Planung in einem Wort zusammenfassen: Souveränität. Integrale Planung, wie ich sie verstehe, startet mit dem Planungsprozess und einem Team auf dem Feld, in dem jeder Experte seines Fachs ist. Das schließt den Baujuristen mit ein“, betont Prof. Dr. Andreas Koenen.
Quelle: Koenen Bauanwälte
„Für mich lässt sich integrale Planung in einem Wort zusammenfassen: Souveränität. Integrale Planung, wie ich sie verstehe, startet mit dem Planungsprozess und einem Team auf dem Feld, in dem jeder Experte seines Fachs ist. Das schließt den Baujuristen mit ein“, betont Prof. Dr. Andreas Koenen.

Die Rolle des Bauanwalts bei zukünftigen Bauvorhaben

Spätestens seit dieser klarstellenden Entscheidung des BGH vom 09.11.2023 und insbesondere auch aufgrund der Tatsache, dass Planer für derartige rechtsberatende Tätigkeiten nicht (mehr) versichert sein dürften, ergibt es Sinn, sich von Planungsbeginn an einen Baujuristen ins Team zu holen – selbst wenn der Baubeginn noch ein bis zwei Jahre auf sich warten lässt. Jetzt ist es wichtig, sich in den Büros mit allen Projektbeteiligten hinzusetzen und zu schauen, wo rechtliche Fragestellungen eine Rolle spielen. Die Rechtsberatung erstreckt sich ja nicht nur auf Ver-träge, sondern von den rechtlichen Rahmenbedingungen des zu wählenden Baumodells, über Vorbemerkungen bis zu den Abnahmen.

Nehmen wir als Beispiel die Elbphilharmonie: Das Bauvorhaben krankte, weil die von Hochtief vorgegebenen Bauverträge rechtlich – jedenfalls aus Sicht der Bauherren – auf „wackligem Fundament“ standen. Für Juristen war die Eskalation aufgrund des rechtlich ungeprüften Bauvertrages absehbar und die Notwendigkeit des dann auch eingeschalteten Untersuchungsausschusses keine Überraschung.

Viele Baubeteiligte denken, dass juristische Fragen eine untergeordnete Rolle spielen. Das ist mitnichten so. Das rechtliche Fundament hat für den Erfolg eines Bauvorhabens eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Und ich vermute, wenn man alle gescheiterten Bauvorhaben mit juristischer Brille untersuchen würde, würde man durchaus Ähnlichkeiten feststellen.

Und deswegen prognostiziere ich, dass die Baubranche durch dieses BGH-Urteil eine grundlegende Veränderung erleben wird. Wenn schon in den sogenannten Vorbemerkungen eines Bauvertrages bzw. eines vermeintlich nur technische Regelungen enthaltenden Leistungsverzeichnisses zentrale juristische Sachverhalte geregelt bzw. „versteckt“ werden und diese nicht rechtlich geprüft sind, dann darf es auch nicht verwundern, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass in der Vergangenheit viele Bauvorhaben im rechtlichen Blindflug begonnen und zu einem bisweilen katastrophalen Ende geführt worden sind. Dadurch werden die Interessen des Bauherrn, seine Absicherung, seine Souveränität beeinträchtigt.

Die juristische Sicht auf integrale Planung

Für mich lässt sich integrale Planung in einem Wort zusammenfassen: Souveränität. Integrale Planung, wie ich sie verstehe, startet mit dem Planungsprozess und einem Team auf dem Feld, in dem jeder Experte seines Fachs ist. Das schließt den Baujuristen mit ein. Ergebnis der klaren Aufgabenteilung ist es, das Spannungsfeld aufzulösen, und zwar über eine die fachlich qualifizierte Souveränität ermöglichende Beratung, welche ein qualitativ hochwertiges Gebäude als Ergebnis zur Folge haben wird. Architekten und Ingenieure müssen die Technik, die Zeitachse und die Kosten im Griff haben. Das kann aber nur gelingen, wenn sie sich wieder auf ihr originäres Tätigkeitsfeld konzentrieren dürfen. Jahrelang wurden aber Bauherren von Baubeteiligten rechtlich beraten und vertreten, die eigene, teils andere, Interessen hatten. Jeder Baubeteiligte hat nicht nur seine eigenen Interessen, sondern auch seine eigenen Schwerpunkte: der Architekt in der Gestaltung, der Ingenieur in der Technik und der Handwerker in seinem Metier. Für uns Bauanwälte hingegen steht der Bauherr im Mittelpunkt, der Investor, der Nutzer und der Betreiber.

Bauingenieure machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Das muss sich ändern

Die in der Entscheidung des BGH aufgezeigte Rechtslage ist keineswegs neu. Ich habe daher in den vergangenen Jahren in meinen Mandaten stets vor der Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Architekten und Ingenieure gewarnt, wurde aber naturgemäß oftmals erst beteiligt, wenn es bereits galt, die Folgen einer entsprechenden Beratung zu bekämpfen. Auch die Architekten- und Ingenieurkammern hatten in der Vergangenheit immer wieder vor einer rechtsberatenden Tätigkeit ihrer Kammermitglieder gewarnt. Ich behaupte, dass alle Planungsbüros Bauprojekte von der gestalterischen und technischen Seite aus sehen. Noch zu selten denken sie ein Bauprojekt von demjenigen aus, der es bezahlt oder nachher nutzt.

Als Jurist, sozusagen als anwaltlicher Pathologe, habe ich über mehr als 20 Jahre beobachtet, warum Bauvorhaben nicht funktionieren. Daraus ist die Erkenntnis entstanden, dass die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen, deren Gestaltung in der Vergangenheit jedoch vernachlässigt bzw. insoweit fachunkundigen Baubeteiligten anvertraut wurde, einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg eines Bauvorhabens ist. Die daraus entstandenen und insbesondere vom Bauherrn zu Recht kritisierten Folgen waren und sind ebenso vorhersehbar wie vermeidbar. Deshalb mein Appell an Bauherren: Werden Sie souverän! Nutzen Sie die rechtlichen Möglichkeiten.

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