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Gebäude(system)techniker setzen auf Simulation statt Excel

Freitag, 06.08.2021

Die übergreifende und intelligente Verknüpfung der Sektoren Wärme und Kälte, Strom und Elektromobilität ermöglicht ganzheitliche Energiesysteme. Erneuerbare Energien, wie Photovoltaik (PV), Biomasse, Solar- oder Erdwärme, ersetzen fossile Energieerzeuger und leisten einen Beitrag zur Energiewende. Die Wirtschaftlichkeit steigt ebenfalls, indem Solarenergie geschickt mit thermischen oder elektrischen Speichern verknüpft oder mit innovativen Lösungen, zum Beispiel Eisspeichern, kombiniert wird. Experten im Bereich der Gebäudetechnik stehen in diesem Zusammenhang vor neuen Herausforderungen: Denn bereits in einer frühen Planungsphase gilt es, die besten Optionen aus einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten zu erkennen.

Foto: Simulations-Ergebnisse lassen Rückschlüsse zum energetischen System zu.
Quelle: Vela Solaris AG – Polysun
Simulations-Ergebnisse lassen Rückschlüsse zum energetischen Gesamtsystem, aber auch zu einzelnen Energiesystemkomponenten, zu. Auf Knopfdruck wird ersichtlich, wie sich ein Energiesystem zum Beispiel bezüglich Eigenverbrauch oder Netzeinspeisung und -bezug verhält.

Welches gesamtheitliche Energiesystem bietet am Projektstandort die größten Vorteile in puncto Energieeffizienz, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit? Ist die Entscheidung für eine Option gefallen, stellen sich weiterführende Fragen: Was ist die optimale Dimensionierung des thermischen Speichers, der Batterie, der Erdwärmesonden oder der Wärmepumpe? Wie definiere ich die Steuerungslogik, um die verschiedenen Komponenten im Betrieb optimal und sektorübergreifend aufeinander abzustimmen?

Um diese Fragen auch für Bauherren und die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner bestmöglich und zukunftsgerichtet zu beantworten, müssen eine Vielzahl von Abhängigkeiten und Informationen verarbeitet werden. Bisherige Berechnungen per Excel reichen hier bei Weitem nicht mehr aus. Mit simulationsbasierter Planung von Energiesystemen gelingt es, verschiedenste Abhängigkeiten quasi per Knopfdruck darzustellen und Aussagen zum Gesamtsystem sowie zu einzelnen Energiesystemkomponenten über den zeitlichen Jahresverlauf zu treffen. Eine wichtige Voraussetzung für die Simulation sind zuverlässige Inputdaten. Dazu gehören beispielsweise standortgenaue und aktuelle Wetterdaten. Des Weiteren ist der Energiebedarf des Gebäudes oder des Quartiers eine wichtige Größe. Hier kann es sich je nach Projekt lohnen, unterschiedliche Szenarien zu simulieren. Schließlich gilt es auch, die Anforderungen des Auftraggebers an das Energiesystem zu kennen und als Zielgrößen für die Simulation festzulegen.

Grafik: Zuverlässige Simulation des Energiesystems durch realitätsgetreue Modelle der jeweiligen Technologien.
Quelle: Vela Solaris AG – Polysun
Für eine zuverlässige Simulation des Energiesystems ist entscheidend, dass die zugrunde gelegten Modelle die jeweiligen Technologien realitätsgetreu abbilden. Diese Modelle müssen deshalb sowohl von wissenschaftlicher Seite geprüft sein als auch im Praxistest bestehen.

Für eine zuverlässige Simulation des Energiesystems ist entscheidend, dass die zugrunde gelegten Modelle die jeweiligen Technologien realitätsgetreu abbilden. Diese Modelle müssen deshalb sowohl von wissenschaftlicher Seite geprüft sein als auch im Praxistest bestehen. Um am Markt erhältliche Produkte in die Simulation einzubinden, müssen die jeweiligen technischen Eckpunkte für die Simulation vorliegen. Bei einer Luft/Wasser-Wärmepumpe ist dies zum Beispiel die produktspezifische Kennlinie für die Heizleistung in Abhängigkeit der Außen- und Fluidtemperatur für verschiedene Leistungsstufen. Bei einer PV-Anlage ist ein produktspezifisches Beispiel die Hinterlegung einer Wirkungsgradkurve je Modul und gewähltem Wechselrichter unter der zeitlichen Berücksichtigung von Verschmutzung und Degradation. Auf dieser Basis kann ein Energiesystem in dynamischen Zeitschritten bis auf Sekundenbasis im Jahresverlauf abgebildet werden.

Die Simulations-Ergebnisse lassen aufschlussreiche Rückschlüsse zum Gesamtsystem, aber auch zu einzelnen Energiesystemkomponenten, zu. Auf Knopfdruck wird ersichtlich, wie sich ein Energiesystem bezüglich Eigenverbrauch, Netzeinspeisung und -bezug oder einer zuverlässigen und effizienten Versorgung verhält und ob die einzelnen Energiesystemkomponenten im Effizienzoptimum laufen. Die so gewonnene Transparenz bildet eine zuverlässige Basis, um Optimierungspotentiale bezüglich der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit des Systems zu erkennen und umzusetzen.

Foto: Thomas Leidecker (li.) und Michael Kapke vom Ingenieurbüro reich + hölscher setzen auf Simulation bei der Planung von Energiesystemen - hier bei der Vorstellung für das Stadtquartier Grünheide in Bielefeld.
Quelle: Vela Solaris AG – Polysun
Thomas Leidecker (li.) und Michael Kapke vom Ingenieurbüro reich + hölscher setzen auf Simulation bei der Planung von Energiesystemen. Hier bei der Vorstellung der Energieversorgung für das Stadtquartier Grünheide in Bielefeld.

Simulation und Praxis

In der Praxis kommt die simulationsbasierte Planung von Energiesystemen zunehmend zum Einsatz. Anwender finden sich in kleineren Planungsbüros bis hin zu großen, renommierten Ingenieurunternehmen. Ein Beispiel hierfür ist das Ingenieurbüro reich + hölscher mit seinem 40-köpfigen Team und Sitz in Bielefeld. Seit zwei Jahren setzt Thomas Leidecker, Leiter der Projektentwicklung und verantwortlich für Energiekonzepte und Simulationen, auf eine simulationsbasierte Planung – von der frühen Projektphase bis zur Detailplanung. Die Einsatzbereiche sind vielfältig: Bei der Ausarbeitung von Energiekonzepten werden simulationsgestützt Varianten verglichen und Empfehlungen für den Investor ausgesprochen. Die Anwendungsfälle reichen von Industrieanlagen, Kliniken und Verwaltungsgebäuden bis hin zu kompletten Quartieren. Ein Beispiel ist das Projekt Grünheide in Bielefeld: Auf acht Hektar sind 400 City-Appartements geplant. Dazu entstehen 30 Doppel-, 15 Reihen- und neun freistehende Einfamilienhäuser. reich + hölscher hat für die Voruntersuchung mehrere Versorgungsmodelle zur Wärme- und Stromerzeugung im Jahresverlauf simuliert. In einem transparenten Vergleich konnte aufgezeigt werden, dass ein System bestehend aus drei großen Luft/Wasser-Wärmepumpen in einer Energiezentrale plus PV am meisten überzeugt. So konnte der Anforderung nach niedrigen Betriebskosten genauso Rechnung getragen werden, wie dem Anspruch einer fossilfreien Energieversorgung.

Ein weiteres Praxisbeispiel liefert ein kleineres Ingenieurbüro mit großer Innovationskraft: Daniel Landgraf, Geschäftsführer der I pro K Ingenieurgesellschaft mbH in Leipzig, simuliert vielfältige Energiesysteme vom Ein- bzw. Mehrfamilienhaus bis hin zu ganzen Quartieren. Für ihn ist die Zuverlässigkeit der Simulationsergebnisse eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz in der Praxis: „Bei einem Pilotprojekt zur Deckung des Warmwasser- sowie Kühl- und Heizbedarfs haben wir das Energiesystem vom Energiekonzept bis zur Detailplanung komplett mit der Simulationssoftware »Polysun« geplant. Verschiedene Ideen haben wir mittels Simulation getestet und auch wieder verworfen. Die Einbindung einer Regenzisterne als thermischer Speicher wurde zum Beispiel nicht weiterverfolgt. Das zuletzt definierte System mit PV und Solarthermie wurde wie simuliert gebaut – mit praktisch kaum feststellbaren Abweichungen der Werte im Betrieb.“

Grafik: Simulation in Kombination mit BIM - teure Planabweichungen können zum frühestmöglichen und kostengünstigsten Zeitpunkt erkannt und vermieden werden.
Quelle: Vela Solaris AG – Polysun
Simulation in Kombination mit BIM sorgt dafür, dass teure Planabweichungen zum frühestmöglichen und kostengünstigsten Zeitpunkt erkannt und vermieden werden können.

Simulation und BIM

Großes Potential sieht die Branche im Einsatz von Simulation zur Unterstützung von digitalen Planungsprozessen wie Building Information Modeling (BIM). Hier wird bereits ab einer frühen Planungsphase in interdisziplinären Teams gearbeitet, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Dabei gilt es, gemeinsam schnell und agil zu reagieren, wenn sich im Projektverlauf zusätzliche Anforderungen oder veränderte Rahmenbedingungen ergeben. Der Einsatz einer simulationsgestützten Planung unterstützt diesen Ansatz optimal. Wird beispielsweise der Dämmstandard durch den Architekten angepasst und die zu deckende Heizlast sinkt, kann diese Information in der Simulation des Energiesystems automatisiert berücksichtigt werden. Sofort erkennt der Gebäude(system)techniker, ob das Energiesystem noch im Effizienzoptimum läuft oder Plananpassungen notwendig sind. Simulation in Kombination mit BIM sorgt also dafür, dass teure Planabweichungen zum frühestmöglichen und kostengünstigsten Zeitpunkt erkannt und vermieden werden und kein „Performance-Gap“ entsteht.

Ein großer zusätzlicher Mehrwert liegt im Gebäudebetrieb: Die Simulation von Energiesystemen liefert eine hohe Transparenz über den geplanten Betriebszustand. Geht das System in Betrieb, können simulierte Ergebnisse den Messwerten gegenübergestellt werden. Betriebsabweichungen werden so rasch erkannt und können adressiert werden. Hier liegt noch viel Potential für die Branche!

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