Nachhaltigkeit ist im Immobilienmarkt in Deutschland zum Qualitätsmerkmal geworden und die Zahl der zertifizierten Gebäude wächst stetig. Wer dabei das Thema Nachhaltigkeit allein auf die Energieeffizienz beschränkt, greift aber zu kurz. Eine nachhaltige Bauweise, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) fördert, geht weit darüber hinaus. Wie aber kann nachhaltiges Bauen konkret mit Leben gefüllt werden?
Mehr als grün
Nachhaltiges Bauen schafft Qualitäten
Donnerstag, 29.09.2016
Eine sinnvolle Orientierung bietet das DGNB-System. Es beschreibt und definiert Nachhaltigkeit im Bau- und Immobilienkontext nach dem heutigen Wissensstand und bildet den Rahmen für die Nachhaltigkeitszertifizierung der DGNB. Es ist kein Maßnahmenkatalog, der abgearbeitet werden muss, um am Ende eine Auszeichnung in Platin, Gold oder Silber zu erhalten. Es ist ein Planungstool, das Bauherren und Planern, Architekten und Ingenieuren eine gemeinsame Grundlage zur Entwicklung und Umsetzung eines nachhaltigen Gebäudes bietet. Auch Bauausführende und die späteren Betreiber profitieren, da deren relevante Themen bereits in der Planung berücksichtigt werden und die entsprechende aussagekräftige Dokumentation für den Betrieb eines Gebäudes damit vorliegt.
Das DGNB-System umfasst rund 40 Kriterien, die die Gesamtperformance eines Gebäudes abbilden. Jedes Kriterium ist eine Stellschraube, an der sich drehen lässt, um die Nachhaltigkeit eines Projekts zu optimieren. Je früher sich die am Bau Beteiligten in der Planungsphase zusammensetzen und diese Themen gemeinsam durchdenken, umso geringer fallen die Zahl der notwendigen Nachbesserungsmaßnahmen und letztlich auch die entstehenden Planungs- und Baukosten aus.
Nachhaltigkeit ist mehr als Energieeffizienz
Dabei reduziert das DGNB-System die Nachhaltigkeit eines Gebäudes nicht auf dessen Energieeffizienz oder rein ökologische Aspekte. Neben der Ökologie werden auch die ökonomische sowie die soziokulturelle und funktionale Qualität betrachtet. Hinzu kommen die Technik-, Prozess- und Standortqualität. Was aber genau verbirgt sich hinter diesen Themenfeldern und welche Ziele werden mit den in den Kriterien behandelten Qualitäten verfolgt?
Aus ökologischer Sicht ist hier insbesondere die Ökobilanz zu nennen, mit der nach Möglichkeit bereits während der Planungsphase gearbeitet werden sollte. Sie kann als wichtiges Instrument zur Optimierung der ökologischen Qualität des Gebäudes dienen. Ziel ist eine lebenszyklusorientierte Planung des Gebäudes, welche zum Beispiel emissionsbedingte Umweltwirkungen reduziert. Schließlich verursachen Gebäude nicht nur in der Herstellung durch den Einsatz von Baustoffen und Bauprodukten schadhafte Ausstöße.
Emissionen entstehen auch während der Nutzung, zum Beispiel durch den Gebäudebetrieb oder die Instandhaltung, bis hin zum Lebensende bei dem Rückbau des Baukörpers. Auch mit Blick auf den Ressourcenverbrauch kann die Ökobilanz eine wichtige Rolle spielen. Ziel hier: Ein möglichst großer Anteil an erneuerbaren Energien und eine Reduzierung des Gesamtverbrauchs an Primärenergie.
Um Risiken während des Baus und in der späteren Nutzung zu minimieren, sollten gefährdende Werkstoffe und Bauprodukte vermieden werden. Die Verwendung besonders umweltverträglicher Materialien einer möglichst hohen Qualitätsstufe hilft, die Innenraumluftqualität eines Gebäudes nachweislich zu steigern. Diese nimmt im DGNB-System eine zentrale Rolle ein. So werden Gebäude mit einer hohen Belastung und hygienisch bedenklichen Messwerten der Innenraumluft von der DGNB-Zertifizierung ausgeschlossen. Schließlich halten wir uns bis zu 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen auf, weshalb die Qualität der Raumluft eine bedeutende Rolle in Bezug auf unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit spielt.
Ein im Sinne des Nachhaltigen Bauens empfehlenswertes Instrument ist ein materialökologisch vollständiger Bauteilkatalog, der dem Bauherrn die Information liefert, an welcher Stelle des Bauwerks welche Bauprodukte eingesetzt wurden – eine wichtige Grundlage zur Qualitätssicherung in der Bauausführung, zur Aufklärung von Mängeln und ihrer sachgerechten Beseitigung sowie zur kostenoptimierten Instandhaltung. Damit wird zudem ein Beitrag zur Wertstabilität eines Gebäudes geleistet.
Aus ökonomischer Sicht ist eine Lebenszykluskostenberechnung, die eine mittel- bis langfristige Kostenbetrachtung eines Gebäudes ermöglicht, sinnvoll. Schließlich hängt die Wirtschaftlichkeit eines Objekts nicht nur von den Herstellkosten und den Mieteinnahmen ab, sondern auch in hohem Maße von den Betriebs-, Reinigungs- und Instandhaltungskosten.
Nachhaltigkeit bedingt flexible TGA
Da sich unsere Arbeits-, Wohn- und Lebenswelten durch technische und gesellschaftliche Entwicklungen laufend verändern, zählt auch die Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit eines Gebäudes zu den Nachhaltigkeitskriterien der DGNB. Je leichter sich ein Gebäude an veränderte Anforderungen anpassen lässt, desto günstiger wirkt sich das auf die Akzeptanz der Nutzer, seine Lebensdauer und die Lebenszykluskosten aus. Das Risiko eines Leerstands wird vermindert. Auch die Planung der technischen Systeme sollte entsprechend so gestaltet werden, dass diese mit möglichst geringem Aufwand an wechselnde Nutzungsbedingungen beziehungsweise an technische Neuerungen angepasst werden kann. Schließlich gehören technische Systeme zu denjenigen Komponenten eines Gebäudes, die dem schnellsten Wandel unterworfen sind. Gleichzeitig üben sie wesentlichen Einfluss auf die Funktionstüchtigkeit eines Gebäudes aus. Die Anpassungsfähigkeit der technischen Systeme – insbesondere im Bereich der TGA – spielt deshalb eine wichtige Rolle für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes.
Die Reinigungs- und Instandhaltungsfreundlichkeit des Baukörpers wird im Rahmen des DGNB-Systems ebenfalls untersucht. Diese hat eine große Auswirkung auf die Kosten und die Umweltwirkung eines Gebäudes während seiner Nutzung. Bauteile, die optimal instandgehalten werden, haben eine höhere Lebensdauer. Oberflächen, die sich leicht reinigen lassen, benötigen weniger Reinigungsmittel und verursachen geringere Reinigungskosten.
Nicht zuletzt steht bei Nachhaltigem Bauen immer auch der Nutzerkomfort im Mittelpunkt. Ein Kriterium ist hierbei der thermische Komfort – im Winter und Sommer gleichermaßen. Der thermische Komfort leistet einen wichtigen Beitrag zu einem effizienten und leistungsfördernden Arbeits- und Wohnumfeld und trägt maßgeblich zu einer hohen Zufriedenheit der Nutzer bei.
Thermisch komfortabel ist ein Raum dann, wenn es dort weder zu kalt noch zu warm ist, die Luft nicht zu trocken oder zu feucht ist und keine Zugluft herrscht. Soziokulturell und funktional ebenso relevant sind etwa der akustische und visuelle Komfort, die Barrierefreiheit sowie die Frage, inwieweit Nutzer die Raumkonditionierung hinsichtlich Lüftung, Sonnenschutz, Blendschutz, Temperatur und Lichtverhältnis selbst beeinflussen können.
Nachhaltiges Bauen ist mehr als ein Zertifizierungslabel
Dieser Ausschnitt zeigt: Die Aspekte des Nachhaltigen Bauens sind vielfältig. Und auch wenn die Anforderungen mitunter nicht sofort in das gängige Verständnis von Nachhaltigkeit passen, so lohnt sich doch der Blick ins Detail. Gelingt es, die Vielzahl der Kriterien in ein ausgewogenes und für das spezifische Projekt angemessenes Verhältnis zu bringen, wirkt sich dies zweifelsfrei positiv auf dessen Gesamtperformance aus. Genau dann ist Nachhaltiges Bauen mehr als nur ein Zertifizierungslabel: Es ist Nutzerkomfort, Wirtschaftlichkeit und tatsächlich wahrgenommene Sozialverantwortung zugleich.
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